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Thomas Meinecke (rechts) im Prinz-Regent-Theater
Foto: Benjamin Trilling

Archäologie eines Songs

29. Juni 2018

Thomas Meinecke über „Cherchez la femme“ am 26.6. im Prinz-Regent-Theater Bochum – Musik 07/18

Es war schon ein Bruch mit den Konventionen, als Thomas Meinecke im Jahr 2012 zur Frankfurter Poetik Vorlesung antrat. Keine Worte über sich selbst und erst Recht keine PowerPoint-Präsentation im Hörsaal. Nein, Meinecke beugte sich über einen Plattenspieler und legte zum Auftakt den Pop-Punk-Song „False Start“ von Bikini Kill auf. Später las er aus seinem Gender-Roman „Tomboy“, zitiert Rezensionen über sein eigenes Werk oder andere Texte. Eine Lesung, die zugleich Performance ist. Und eine Performance, die zugleich Dekonstruktion ist: der eigenen Dozentur und der eigenen Autoreninstanz. „Ich als Text“ nannte Meinecke seine Vorlesungsreihe.

Und auch Meineckes Gastauftritt beim Artist Talk, zu dem das Institut für Populäre Musik in Kooperation mit dem Prinz-Regent-Theater einlädt, hatte etwas von Dekonstruktion verschiedener Diskursschichten. Von Disco und Harmolodik bis hin zu Rock und Gender.

So ist es auch keine Überraschung, dass der Autor im Gespräch mit Hans Nieswandt die früh das erste Song-Video anschmeißt: „Cherchez la femme“ von den Dr. Buzzard's Original Savannah Band aus dem Jahr 1976. Ein Titel, der trotz seiner starken Swing- und Bigband-Einflüsse zum Tanzhit in den USA-avancierte. Was als schrulliger Ausschnitt aus der Disco-Ära abgetan werden könnte, gerät jedoch schon in Meineckes Roman „Musik“ von 2004 zum Diskurs.

Während der 62-Jährige dort noch seinen ProtagonistInnen das Fantum in den Mund legte, holte der Münchener DJ und Musiker (Freiwillige Selbstkontrolle) im Gespräch mit Hans Nieswandt selbst zu reichlich Verweisen und Zitaten aus. Über das gezeigte Musikvideo sagt Meincke: „Sie haben sich nicht als Pop verstanden. Aber sie haben damit einen Hit gelandet.“ Viel zu dissonant sei der Track eigentlich für einen Discosound. „Das zieht sich auch schön durch den ganzen Song.“

Genau diese Dissonanz verleitet den Pop-Experten zu einer Fußnote über den amerikanischen Jazz-Musiker Ornette Coleman, der als Pionier des Free Jazz und als Begründer der „Harmolodics“ galt. Und diese kompositorische wie improvisatorische Methode finde auch in der Pop-Geschichte Eingang und wird regelmäßig gecovert oder zitiert. Meinecke, oft als feministischer Autor bezeichnet, sieht in diesem Rereading einen Gender-Aspekt: „Der ganze Discodiskurs geht da schon in Richtung Gay-Underground.“ Von der sogenannten „Sissy Music“ bis hin zu Interpreten der afroamerikanischen Musik, die ebenso auf der Suche waren nach einer, wie Meinecke sagt, „unmännlichen Männlichkeit“.

Ein Motiv, das auch der Münchner Schriftsteller verfolgt: „Es war auch die Absicht meines Romans, das Heterosexuelle als genauso gemacht darzustellen.“ Selbst wenn viel des Vorgetragenen über die Musikgeschichte „pures Fantum“ sei, wie Meinecke gesteht. So bleibt auch vieles rätselhaft in dieser Archäologie eines Songs. Der Diskurs ist hier die Musik. Oder umgekehrt? Zumindest offenbart Meineckes Samplen einen Soundtrack des gesellschaftlichen Fortschritts im Pop.

Benjamin Trilling

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