Normalerweise weist diese Kolumne auf lohnenswerte Musicals in NRW hin, wagt aber auch schon mal einen Blick über die Landesgrenzen, wenn sich die Reise lohnt. Da nun die neue Saison ansteht, die Stücke noch nicht gesichtet werden konnten, bliebe also nur ein programmatischer Überblick auf die kommenden Premieren. Wäre uns da nicht zum Ende der Openair-Veranstaltungen ein Juwel über den Weg gelaufen, dass wir in unserer August-Kolumne leider nicht berücksichtigen konnten: die deutschsprachige Erstaufführung des Broadway Musicals „Little Women“. Dass sich auch noch die semi-professionelle Waldbühne Kloster Oesede in Georgsmarienhütte an diese Herausforderung wagte, verlangt nach Aufmerksamkeit. Auch in der Hoffnung, dass sich nun andere Bühnen an dieses musikalisch wunderbar „altmodische“ Musical wagen.
Der dem Musical zugrunde liegende, gleichnamige Jugendbuch-Klassiker von Louise May Alcotts aus dem Jahre 1868 wurde schon viermal verfilmt, das letzte Mal 1994. Der irreführende deutsche Titel („Betty und ihre Schwestern“) wurde nun auch für die deutsche Musical-Adaption verwendet, obwohl im Mittelpunkt der Handlung die ältere Schwester Jo steht, die mit ihrer Mutter und den Schwestern, Betty, Meg und Amy auf die Rückkehr ihres in den Bürgerkrieg gezogenen Vaters wartet. Währenddessen träumen oder verwirklichen die Mädchen ihre verschiedenen Lebensentwürfe, was teilweise frühe emanzipatorische Züge trägt. Aber auch tragische Ereignisse überschatten ihr Leben ...
Die schwierige Aufgabe der fast ununterbrochenen Bühnen-Präsenz hatte Karina Linnemann als Jo zu bewältigen. Und die Laien-Darstellerin entfaltet ein Charisma, von dem sich so mancher Profi eine Scheibe abschneiden kann. Selbst wenn sie, wie mit dem Song „Unglaublich sein“, an ihre stimmlichen Grenzen stößt, macht sie mit ihrem energiegeladenen Spiel diese kleine Schwäche mehr als wett. Dabei kann sie sich, wie auch ihre engagierten Mitspieler, auf das von Georgi Gürov präzise geführte Live-Orchester verlassen, das die eingängigen Songs von Jason Howland den gesanglichen Möglichkeiten angepasst hat. Die von Brady Stephan Harrison hübsch choreografierten Tänze bescheren in einer mitreißenden Glitter-Step-und-Schirm-Nummer geradezu ein „Singin‘-in-the-Rain“-Deja Vu. Da wirkt das Ensemble von den Hauptdarstellern bis zur Chorus-Line wie aus einem Guss. Sicherlich auch ein Verdienst von Max Messlers Regie, der die Darsteller mit straffer Hand durch die schauspielerisch anspruchsvollen Rollen führt. Erstaunlich flüssig ist Irene und Florian Schweer die Übersetzung der Liedtexte von Mindi Dickstein gelungen, die – selten im Genre – das Original kaum vermissen lassen. Im nächsten Sommer traut sich die Waldbühne an den Broadway-Hit „Gypsy“. Den sollte man sich vormerken, denn „Betty und ihre Schwestern“ haben gezeigt, dass sich solch ein Wagnis lohnt.
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