Satire will einen Missstand anprangern, ihn der Lächerlichkeit preisgeben und so seiner Macht berauben. Aber dürfen wir auch über einen Massenmörder wie Adolf Hitler lachen? Schon manche seiner Zeitgenossen nutzten die Waffen Humor und Spott gegen ihn. Denken wir nur an Charlie Chaplins „Der große Diktator“ oder Ernst Lubitschs „Sein oder Nichtsein“. In der Kunst gab es seitdem viele Versuche, das personifizierte Böse zu entmystifizieren. Monty Python nahmen sich Hitler vor, Mel Brooks rappte ihn und ließ Nazis in einem Broadway-Musical tanzen. In Deutschland arbeiteten sich Ulli Lommel und Christoph Schlingensief, später Helge Schneider in Dani Levys „Mein Führer“ an der Unperson Hitler ab. Bei Walter Moers badete „die Nazisau“ im „Bonker“ mit Quietsche-Entchen.
Auch der 1914 in Ungarn geborene Drehbuchautor, Schriftsteller und inoffizielle Theaterkönig George Tabori erzählt in seinem Stück „Mein Kampf“ (Uraufführung 1987 in Wien) alles andere als bierernst und faktentreu von Hitlers Genese vom Mensch zum Monster. Tabori, dessen Vater 1944 in Auschwitz ermordet wurde, war selbst Jude. Er überlebte den Zweiten Weltkrieg in London, ging dann für einige Jahre in die USA und lebte von 1971 an dauerhaft in Deutschland, wo er 2007 verstarb. Das Stück spielt um 1910 in einem Wiener Männerasyl, wo der erfolglose Adolf auf die Juden Schlomo Herzl und den Koch Lobkowitz trifft und sich mit Herzl anfreundet. Als Adolf das Studium an der Kunstakademie verwehrt wird, tröstet ihn Herzl und hilft seinem Freund wieder auf die Beine. Er ermutigt ihn dazu, in die Politik zu gehen und bereitet Hitler arglos auf seine Karriere als Diktator vor.
Das Gelsenkirchener Trias Theater Ruhr inszeniert nun in einem Gastspiel am Theater im Depot Taboris „theologischen Schwank“, so der Autor über sein Stück. Tabori selbst soll derbe, schlechte Witze gemocht haben, solange sie an der richtigen Stelle weh taten. Auf die eingangs gestellte Frage, ob wir über Hitler lachen dürfen, würde er vermutlich erwidern: Wir dürfen nicht nur, wir müssen es sogar.
Gastspiel Trias Theater Ruhr: „Mein Kampf“ | R: Tatjana Sarazhynska | So 27.5. 18 Uhr | Theater im Depot Dortmund | www.depotdortmund.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Das Stück zur Stunde“
Jens Dornheim inszeniert in Dortmund „Der Reichsbürger“ – Premiere 11/20
Erschreckende Menschlichkeit
„Blutmond“ von artscenico performing arts in Dortmund – Bühne 09/20
Das Glück der Erwerbstätigkeit
Das 35. Theaterfestival Favoriten in Dortmund – Prolog 07/20
Pädagogisch wertvoll
„Shockheaded Peter“ im Theater im Depot – das Besondere 02/19
Monströse Macht Mettigel
„Die Räuber.Live“ in Dortmund – Theater Ruhr 02/19
Im Dreieck wird geschwindelt
„Der Weibsteufel“ in Dortmund und Essen – Theater Ruhr 12/18
„Wir mussten uns mit jeder Produktion neu erfinden“
Jens Dornheim und „Der Weibsteufel“ in Dortmund – Premiere 10/18
Deutschland mal zehn
„Deutschland Shorts“ bringt 10 Mini-Stücke im Depot und an der Rottstraße auf die Bühne – Theater 11/17
Hamlet in der Mausefalle
„Hamlet“-Parcours im Dortmunder Depot – Theater Ruhr 11/17
Die Einsamkeit wegtanzen
„Place to be: Shared“ am 5.3. im Theater im Depot, Dortmund – Bühne 03/17
Ein Ort zum Verweilen
„Place to be: Shared“ am 5.3. im Depot Dortmund – Theater Ruhr 03/17
Underground und Teeparty
Petra-Meurer-Theatertage 2017 vom 17. bis 18.2. im Depot Dortmund – Theater Ruhr 02/17
„Ich mache keine Witze über die Ampel“
Kabarettist Jürgen Becker über sein Programm „Deine Disco – Geschichte in Scheiben“ – Interview 04/24
„Zu uns gehört das Lernen von den Alten“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2024 – Premiere 04/24
Verloren im Nebel
Das Duo Paula Rot im Foyer des Theaters Duisburg – Bühne 03/24
Glücklich bis ans Ende?
„Star-Crossed Lovers“ in Essen – Prolog 03/24
Ein Baum im Herzen
„Eschenliebe“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 03/24
Liebe und Gewalt
„Told by my Mother“ in Mülheimer a.d. Ruhr – Tanz an der Ruhr 03/24
Über die Familie
45. Duisburger Akzente – Festival 03/24
Sternfahrt zum Shoppen
„Einkaufsstadt, 4300“ von Trio ACE in Essen – Prolog 03/24
„Im Gefängnis sind alle gleich“
Regisseurin Katharina Birch über „Die Fledermaus“ an den Bochumer Kammerspielen – Premiere 03/24
Bakterien im Spa
„Ein Volksfeind“ am Theater Dortmund – Prolog 02/24
Vom Elvis zum Cowgirl
„The Legend of Georgia McBride“ am Theater Oberhausen – Prolog 02/24
„Es kommt zu Mutationen zwischen den Figuren“
Intendant Ulrich Greb inszeniert „Der Diener zweier Herren“ am Schlosstheater Moers – Premiere 02/24
Postapokalyptische Manege
„Essence“ von Urbanatix am Schauspielhaus Bochum – Bühne 02/24