Das Glück der späten Festivallaufzeit macht es möglich. Die 35. Favoriten finden in ihrem Jubiläumsjahr termingerecht im September statt. In Corona-Zeiten ist die Thematik fast prophetisch: Das Festival erforscht Felder des Arbeitens und des Nicht-Arbeitens in den Künsten und der Gesellschaft, Arbeitstitel „While we are Working“. Da kommen also Working Heroes in und an Kunst und stellen selbst die wichtigste Frage: Ist künstlerisches Tun überhaupt eine Arbeit? Dazu virenaktuell: Kann Streik und Solidarität auch als Performance stattfinden? Why not? Das behauptet auch das WHY NOT? Kollektiv in seiner Reality Show, wo der perfekte Zukunftsentwurf in der Latenz des Alltags gesucht wird. Denn dort soll wohl noch vieles schlummern, auch das neue Individuelle.
Aber vielleicht interessieren sich alle doch lieber für ein Haus mit Garten. Auch dann entkommt ihr nicht den nur potentiellen Zukünften. Die Kölner Theatermacherin Philine Velhagen ruft zur Wohnungsbesichtigung und verhandelt dort Grabenkämpfe um Räumlichkeiten und utopische Konzepte des (Zusammen-)Wohnens. Das sei eben die neue soziale Frage, denn nicht alle können sich gemauerte Geborgenheit noch leisten. Schon gar nicht jenseits des vermeintlichen großen Glücks der Erwerbstätigkeit – also gründete Thomas Lehmen das „Erste Oberhausener Arbeitslosenballett“. Unter dem Slogan „Brauchse Job? Wir machen Kunst!“ vergab er bezahlte Tanz-Arbeit – ohne jede Bedingung. Können oder Wissen waren nicht erforderlich. Jetzt tanzt das Ensemble der Menschheit vor, dass Kunst eben auch Arbeit ist, und fordert, in einer Gesellschaft ohne Arbeit endlich Kunst machen zu dürfen. Am sozialen Interface arbeitet auch die Choreographin Antje Velsinger. Ihre poetische Performance „dreams in a cloudy space“ verschränkt Video- und Soundfragmente aus Alten- und Seniorenheimen mit der Begegnung einer 35-jährigen und einer 75-jährigen Tänzerin. Alles unter der Kardinalfrage: Wie wollen wir altern? Vielleicht tanzend? Dann freuen wir uns auf das feministische Medienkunst- und Performancekollektiv Swoosh Lieu. Das entwirft in „Everything but Solo“ – ich zitiere mal – mit sechs Inputs, 60 Dimmerplätzen, einem Weitwinkelobjektiv und 33 Umlenkrollen eine Choreographie für die bühnentechnische Apparatur der Black Box. (Puh) Gemeinsam mit vier Tänzerinnen spüren sie dort der Ästhetik der Arbeit hinter der Bühne nach.
Favoriten 2020 | 10. - 20.9. | Theater im Depot | u.a. Dortmund | www.favoriten-festival.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Jenseits von Stereotypen
„We Love 2 Raqs“ in Dortmund – Tanz an der Ruhr 09/24
Künstlerisches (Ver-)Lernen
Das Favoriten Festival 2024 in Dortmund – Prolog 08/24
Spukende Cyborgs
„Revenants“ beim Favoriten Festival in Dortmund – Bühne 09/22
„Fabulieren, was möglich sein könnte“
Anne Mahlow über das Dortmunder Favoriten Festival – Premiere 08/22
„Das Stück zur Stunde“
Jens Dornheim inszeniert in Dortmund „Der Reichsbürger“ – Premiere 11/20
Die Hexenjäger aus der Zukunft
Ursina Tossis Performance „Witches“ in Dortmund – Festival 09/20
Schlafen, streiken, kanakisieren
Favoriten Festival in Dortmund – Festival 09/20
Erschreckende Menschlichkeit
„Blutmond“ von artscenico performing arts in Dortmund – Bühne 09/20
Verhexte Arbeitswelt
Favoriten Festival in Dortmund – Festival 09/20
Pädagogisch wertvoll
„Shockheaded Peter“ im Theater im Depot – das Besondere 02/19
Monströse Macht Mettigel
„Die Räuber.Live“ in Dortmund – Theater Ruhr 02/19
Im Dreieck wird geschwindelt
„Der Weibsteufel“ in Dortmund und Essen – Theater Ruhr 12/18
Praktisch plötzlich doof sein
Helge Schneider präsentiert seine neue Tour – Prolog 12/25
Tanzbein und Kriegsbeil
Filmdoku in Düsseldorf: Urban Dance in Kiew – Tanz an der Ruhr 12/25
Der böse Schein
„Söhne“ in der Moerser Kapelle – Prolog 12/25
„Totaler Kulturschock. Aber im positiven Sinn“
Schauspielerin Nina Steils über „Amsterdam“ am Bochumer Schauspielhaus – Premiere 12/25
Verlorene Jahre
„The Drop“ am Jungen Schauspiel in Düsseldorf – Prolog 11/25
Kampf, Verlust und Liebe
Vorweihnachtliche Stücke für junges Publikum im Ruhrgebiet – Prolog 11/25
Tanz der Randfiguren
„Der Glöckner von Notre-Dame“ in Essen – Tanz an der Ruhr 11/25
„Jede Inszenierung ist eine Positionierung“
Regisseur Kieran Joel über „Antichristie" am Schauspielhaus Dortmund – Premiere 11/25
Das selbsternannte Volk
„Die Nashörner“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Prolog 10/25
Körper und Krieg
„F*cking Future“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 10/25
Foltern ohne Reue
„Törleß“ am Bochumer Rottstr 5 Theater – Prolog 10/25
„Subjektive Wahrnehmung ist verboten“
Regisseurin Jette Steckel über „Das große Heft“ am Bochumer Schauspielhaus – Premiere 10/25
Graf Fridol geht auf Nachtschicht
Musik-Improtheater beim Duisburg Fringe Festival – Festival 09/25