Spontan mit dem Flieger zu einem Rolling Stones-Konzert nach Moskau? Selbst wenn das Event bereits morgen ansteht? Alles kein Problem. Einfach eine Nummer wählen und prompt wird das Ticket vermittelt. Bevor es mit dem Jet ins Wochenende geht. Oliver Schröm erwähnte dieses Beispiel an diesem Abend, um zu verdeutlichen, in welcher Lebenswelt sich diese Eliten bewegen, die mit dem Cum Ex-Skandal einen der größten Steuerraubzüge zu verantworten haben: gierig und amoralisch, dekadent und abgeschirmt. „Das ist Reichtum, das ist eine Welt, die wir uns nicht vorstellen können.“
Der correctiv-Chefredakteur hat sich in die Kreise dieser „Herrenmenschen“, wie er sie nennt, eingeschleust. Um gemeinsam mit weiteren Medien aufzudecken, dass die Steuerabzocke trotz eines im Bundestags verabschiedeten Gesetzes munter weitergeht. Investigativ und mit versteckter Kamera haben sie die Deals aufgedeckt. „Alles war echt, außer dass wir keine Millionäre sind“, sagt Schröm. Über die Rechercheergebnisse und die Folgen sprach der Investigativjournalist mit Hermann Falk, Vorstand der GLS Treuhand und Monika Düker, Haushaltspolitische Sprecherin der NRW-Grünen. Moderiert wurde die Veranstaltung von David Schraven (Correctiv).
Und die Diskussionsrunde im Correctiv-Buchladen stieß auf reges Interesse. Wer nicht angemeldet war, diskutierte vor der Ladentür mit den VeranstalterInnen, ob es noch irgendwie einen freien Platz gibt. „Die Menschen haben mittlerweile registriert, was hier abgeht“, freute sich Schröm. „So langsam kommt was in Bewegung.“ Das liegt sicher auch daran, dass im Dezember bekannt wurde, dass die Staatsanwaltschaft wegen des Cum Ex-Skandals ermittelt. Allerdings gegen Oliver Schröm. Der Vorwurf: Anstiftung zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen. „Das ist eine Straftat aus dem Wirtschaftsrecht“, sagte er. Denn presserechtlich hat der 55järhige nichts falsch gemacht. Unterlagen und Beweise lagen vor. Das Problem: die aufdeckten Steuerbetrüger sind mächtig, wie Schröm schnell feststellen musste: „Da sieht man, wie eine Bank das Strafrecht missbraucht, um Journalisten mundtot zu machen.“
Mehr als 55 Milliarden Euro haben Finanzhaie, Rechtsanwälte oder BeraterInnen aus der Staatskasse erbeutet. Geld, das für Schulen und Kindergärten, Soziales und Infrastruktur fehlt. Der Vorgang ist jedoch komplex. Es geht um Kapitalertragssteuern auf Dividenden, die rückerstattet wurden, obwohl die Spekulanten kein Anrecht darauf hatten. Keine Steuerhinterziehung, sondern ein direkter Griff in die Staatskasse, für den sich mehrere Investoren zusammengetan haben, wie Schröm beklagte: „Da geben mehrere Leute vor, eine Aktie zu besitzen, die sie gar nicht haben.“
Umso unübersichtlicher ist das Ausmaß des Fiskalbetrugs. Beschuldigt werden unter anderem die Privatbank Warburg, die Deutsche Bank oder „Millionärsformel“-Autor Carsten Maschmeyer. Auch die schweizer Privatbank Sarasin war an den Geschäften beteiligt, das Finanzinstitut hat Schröm bekanntlich verklagt. Der heutige GLS-Vorstand Hermann Falk war eine zeitlang dort tätig und erhielt einen Einblick in diese Welt der Superreichen, deren Streifzug aus seiner Sicht durch eine Mischung aus systematischen Schlupflöchern und individueller Gier ermöglicht worden sei. Zwischenmenschliche Werte gelten in den obersten Banketagen nicht, so Falk: „Diese Bindung haben diese reichen Menschen nicht mehr.“
Als eine Lösung der strukturellen Probleme schlägt Grünen-Politikerin Monika Düker an diesem Abend eine „Registrierung von Lobbyisten“ vor: „Um einfach transparent zu machen, was da geschieht.“ Bis dahin scheint die Umverteilung von unten nach oben munter weiterzugehen. Aber immerhin rüttelt der Cum Ex-Skandal wieder auf. Correctiv hat etwa mit einem offenen Brief bisher 26.000 UnterzeichnerInnen gesammelt. Weitere sind erwünscht.
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