Es soll ein Pilotprojekt sein. Und bei diesem weiterentwickelten „Bermuda-Talk“ müssen die Gäste im Mandragora natürlich mitmachen. Mit Applaus und Jubel, sobald die Kameras laufen. Denn das Promi-Format im Herzen des Bermudadreiecks erstrahlt an diesem Dienstagabend in neuem Glanz: Die Kneipe ist hell ausgeleuchtet für das Filmteam, das das Geschehen festhält, während Michael Wurst das Publikum animiert, zu klatschen: „Meine Mutter wird nämlich heute 65 Jahre alt“, so der Moderator.
Stichpunkte für lauten Applaus gibt es ohnehin genug bei diesem ersten Bermuda-Talk nach langer Sommerpause. Etwa als die Komödiantin Esther Münch in die Runde fragt: „Wollt Ihr mal sehen, wie es darunter aussieht?“ Zustimmender Beifall ertönt. Denn Münch kennt das Ruhrgebietspublikum meist nur mit Kostümierung. In dieser Tracht der Putzfachkraft Waltraud Ehlert tritt sie zunächst auch im Mandragora auf. Bevor sie für das Gespräch mit dem Moderatoren-Duo Oliver Bartkowski und Michael Wurst aus ihrer Kunstfigur entschlüpft. „Die Leute wundern sich immer, dass ich noch normal reden kann, wenn ich die Klamotten ablegen“, erzählt sie.
Aber das Switchen beherrscht die Komikerin genauso wie das Improvisieren. Michael Wurst lässt ihre Komik-Kompetenzen prompt testen: Das Publikum soll Stichworte einwerfen, welche die Comedienne pointenreich pariert. Der erste Vorschlag erweist sich als Steilvorlage: US-Präsident Donald Trump. Prompt switcht die Kabarettistin wieder in den rustikalen Ruhrpott-Kauderwelsch der Waltraud Ehlert und vergleicht den Reaktionär mit einem Meerschweinchen. Denn die Nager hoppeln und quieken bekanntlich nicht nur niedlich, sondern lassen hinten raus ungeniert ein paar „Köttel“ herauskullern, so Esther Münch: „Das ist bei Trump auch so, nur dass die Scheiße vorne herauskommt.“
Der nächste Stichpunkt aus dem Publikum: Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu den Hartz IV-Sanktionen. Für abtrünnige SPD-Wähler*innen klingt es dann sicherlich wohltuend, wenn die Komikerin unterbreitet: „Mein Vorschlag ist, dass die Leute, die das beschränken, ein halbes Jahr davon leben.“ Auch ihr Bühnenprogramm im Varieté et cetera hat Esther Münch zuletzt politisiert. Als Kabarettistin wolle sie sich nicht der gesellschaftlichen Schieflage verschließen: „Mir macht die Zeit, in der wir heute Leben, etwa das Erstarken der AfD wirklich Angst.“ Überhaupt verortet sie ihre Branche links. Oder gibt es etwa rechten Kabarett? Esther Münch: „Ich finde auch Dieter Nuhr fragwürdig und frage mich, was er frühstückt.“ Der Entertainer polterte zuletzt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegen Greta Thunberg und andere progressive Kräfte.
Bestens bekannt aus dem Fernsehen ist auch der andere Bermuda-Talk-Gast an diesem Abend: Joe Bausch. Der Schauspieler und Krimi-Autor gibt etwa an der Seite von Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär den Tatort-Pathologen. Dabei fing seine Karriere in Bochum an: Hier studierte Hermann Joseph Bausch-Hölterhoff , so sein bürgerlicher Name, an der Ruhr-Uni Medizin und machte auf der Theaterbühne seine ersten schauspielerischen Erfahrungen. Oft nackt oder als verrückter Verbrecher. Schnell erarbeitet Bausch sich damit ein Image, das jedoch nicht so förderlich für seine medizinische Laufbahn erschien. Ein Freund offenbarte ihm: „Wenn du jetzt irgendwo im weißen Kittel erscheinst, lässt sich keiner von dir behandeln.“
Daher verschlug es Bausch 1968 ins abgelegene Verl, wo er Gefängnisarzt tätig war. Die tragischen Schicksale beschrieb er auch in seinem Buch „Knast“. „Manche Insassen hatten eine Vita, mit der sie nie eine Chance hatten“, erzählt Bausch an diesem Abend. Für 28 Tage landete er selbst mal im Bau, wie der Schauspieler verrät: Eine Arbeitskollege erlaubte sich eine üble Bemerkung über Bauschs Freundin. „Dafür musste er bestraft werden“, so Bausch. Er langte zu. „Ich war wild und jung und habe mir nichts gefallen lassen.“ Aber bekanntlich kriegte Bausch die Kurve und legte eine steile Karriere hin.
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Talk-Start mit Tatort-Star
Joe Bausch und Esther Münch beim Bermuda-Talk am 5.11.
Rock`n`Roll und VfL
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