Jürgen Klopp ist ein Amateur. Nicht als Trainer. Aber als Choleriker mit seiner Gesichtskirmes neben dem systematischen Berufscholeriker Gernot Hassknecht. Seit 2009 mimt der Schauspieler Hans-Joachim Heist den überzeugendsten Wutbürger Deutschlands in der Satiresendung heute-Show. Zum Publikumsliebling avanciert, beschloss er mit seiner Figur den Angepassten und Ausgeglichenen das Aufregen zu lehren und beglückte so am 19. September auf seiner Tour „Das Hassknecht-Prinzip – In zwölf Schritten zum Choleriker“ das Publikum im Bahnhof Langendreer mit seinen Weisheiten.
Gernot Hassknecht bittet um mehr cholerische Ausbrüche. Foto: Lisa Mertens
Wer jedoch gekommen war in der Erwartung, sich in Castingshow-Manier beschimpfen zu lassen, hatte sich gehörig geschnitten. Hassknecht hat Niveau. Er echauffiert sich begründet und zielgerichtet. Ihm geht es auf seiner Tour darum, dieses Können, was er wöchentlich in der heute-Show unter Beweis stellt, zu teilen und so den Normalaufreger zum Proficholeriker zu bekehren. Niemand solle nach seiner Roadmap 45 Minuten geduldig ohne zu Mucken am einzig geöffneten Postschalter warten. Man müsse bereits Vorfreude aufs Aufregen empfinden.
Er selbst rege sich schon beim Vorspann des heute-Journals in Erwartung so „blöder Politiker“ wie Dirk Niebel auf, leitete Hassknecht ein.
Zunächst fasste sich Hassknecht wegen der Architektur des Innensaals, in dem selbst Steinbrück für 50.000 € nicht auftreten würde, an den Kopf. Danach war die Ästhetik des Publikums dran, welches Brüderle auch nach drei Flaschen nicht anbaggern würde. Insgesamt war er seinen gelehrsamen Schülern am Abend aber wohlgesonnen und wollte für sie nur das Beste: die Befreiung vom Hineinfressen, Auslöser berechtigten Frusts. Man müsse der Welt zeigen, „dass sie einen am Arsch lecken kann“. Dafür empfiehlt das kleine Wutbündel autoaggressives Training, eine Vielzahl von Beschwerdebriefen, keinen Sport und unausgewogene Ernährung. „Ausgewogenheit ist scheiße!“ Lieber die Galle reizen mit Alkohol, Kaffee und viel Knoblauch, dabei unter allen Umständen Grünzeug und Tofu vermeiden. Gott wolle nicht, dass wir Brokkoli essen und vom Dünsten habe er auch nie gesprochen. Hilfreich seien auch der Ruhrschnellweg, dessen Nutzung selbst Gandhi vom gewaltfreien Widerstand abgebracht hätte, und natürlich die Deutsche Bahn. Vom Fliegen aber rät Hassknecht ab. In der DDR unter den Verkehrsmitteln sei man gnadenlos den überfreundlichen, auf Terroristen trainierten Saftschubsen ausgeliefert, die niemals ihre Passagiere rausschmeißen. Nach Kommentaren über das „Riesenarschloch Markt“ und den Rat, sich Frau und Familie zur Bluthochdrucksteigerung zuzulegen, stellte Hassknecht sein Pendant zu Facebook vor: das asoziale Netzwerk „Hassbook“ inklusive Feindschaftsanfragen und „Ich will, dass dich der Blitz beim Scheißen trifft“-Button statt Likes.
Hassknecht hat für alle Lebenslagen eine cholerische Antwort bereit. Und da niemand mehr Aderlass fürchten muss, ist nach diesem Abend ein Ungleichgewicht im Sinne der hippokratischen Humoralpathologie zugunsten der Galle strengstens zu empfehlen.
Das Publikum im Bahnhof Langendreer lacht anstatt zu wutschnauben. Foto: Lisa Mertens
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