Auch ein merkwürdiger Zellulosehaufen unter Glas ist Teil der internationalen Gruppenausstellung „Artists & Agents“ im Dortmunder HartwareMedienKunstVerein (HMKV) die von Inke Arns, Kata Krasznahorkai und Sylvia Sasse kuratiert wurde. Daniel Knorrs 37 „Stasi-Steine“ bestehen aus Geheimdokumenten, die erst geschreddert, dann gepappt und hinterher noch mit Wasser und Öl übergossen wurden. Auch 1989 machte die Stasi eben keine halben Sachen. Die überaus interessante Schau überdie Interaktion zwischen Geheimdiensten und Performancekunst – die galt allen Geheimdiensten im ehemaligen Ostblock als besonders gefährlich, tauchte sie doch auf und verschwand wieder, hinterließ oft nichts als ein paar Devotionalien für Bilddokumentationen der jeweiligen Landesstasi – zeigt, was alles in den Zentralen möglich gemacht wurde, nur um ein bisschen subversive und damit dämonische Kunst unter Kontrolle zu bekommen. Das sich da bis heute nicht viel geändert hat, kann am juristischen Umgang mit dem großartigenPerformanceteamZentrum für politische Schönheit („Bau das Holocaust-Mahnmal vor Höckes Haus!“) abgelesen werden.
Fluffig, durchscheinend, offen – also alles, was Geheimdienste gar nicht abkönnen – kann der Blick durch die Ausstellung aus mehr als zwei Dutzend künstlerischen Positionen nebst Aktenmaterial wandern, bevor man sich der getippten Kleinteiligkeit nähert. Aber die Ausstellung fokussiert nicht nur die ehemalige DDR, künstlerische Subversion wurde auch in anderen Ländern bekämpft. In einer Vitrine zeigt sich, dass auch in Rumänien unter Ceaușescu die Securitate immer vor Ort war. Eine Multimedia-Birthday-Action-Performance der Gruppe MAMÜ 1982 ist deshalb nicht nur von den Künstlern, sondern auch von den staatlichen Spähern fotografisch festgehalten worden – die haben das natürlich aktenmäßig weiterverarbeitet. Manchmal mussten in Deutschland die IMs allerdings auch selber ran. Als die Erfurter Künstlerin Gabriele Stötzer Fotoserien mit einem Transvestiten machen wollte und jemanden suchte, schickte ihr die Stasi „Winfried“ vorbei. Der sollte die Kunst-Performance in Richtung Pornografie drehen und so mögliche Anklagepunkte kreieren. Doch der Spitzel hatte wohl während der sieben Serien so viel Spaß am Posing, dass er seinen Auftrag vergaß – die Fotos sind in der DDR dennoch nie ausgestellt worden.
„Artists & Agents – Performancekunst und Geheimdienste“ | HMKV im Dortmunder U
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