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Inke Arns, Kulturkonferenz Ruhr/RVR, 2019
Foto: Rupert Oberhäuser

„Bakterien passen sich schneller an neue Umgebungssitationen an“

28. Februar 2023

Kuratorin Inke Arns über die neue Ausstellung des HMKV im Dortmunder U – Sammlung 03/23

trailer: Frau Arns, die Ausstellung, die am 11. März eröffnet wird, trägt den optimistisch klingenden Titel „We grow, grow and grow, we're gonna be alright and this is our show“. Doch wenn doch eigentlich nichts mehr wächst, was dann?

Inke Arns: Mal ganz im Ernst, wenn nichts mehr wächst, dann wächst sicherlich noch irgendwas. Das ist wieder so eine Frage aus menschlicher Perspektive. Die Natur wird immer weiter bestehen, aber eventuell ohne uns. Das ist der radikale Perspektivwechsel, den diese Ausstellung vollzieht. Der Titel ist ganz seltsam und lang: „We grow, grow and grow, we're gonna be alright and this is our show“. Da könnte man zunächst denken, dass die Künstler:innen selbstverliebt über ihre erste große Einzelausstellung sprechen. Das ist aber nicht der Fall. Wer da spricht, sind Wesen, denen wir normalerweise kein Bewusstsein zuschreiben: irgendwelche Algen, irgendwelche Bakterien, irgendwelche technischen Objekte oder Pionierpflanzen. Es ist quasi deren Show! Im Moment produzieren Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten sechs neue große Videoinstallationen. Es wird grandios!

Symbiosen zwischen Mikroorganismen, Flora und Fauna und technischen Objekten – haben wir Menschen wenigstens die Chance, als Biological Cyborgs zu enden? 

Ja, das könnte eine Möglichkeit sein. Das Problem ist nur, dass unsere Evolution viel langsamer von statten geht als die Evolution von Kleinstlebewesen. Weil Bakterien, Einzeller, alle 20 Minuten eine Zellteilung vollziehen, sich also exponentiell vermehren, können sie sich viel schneller an neue Umgebungssituationen anpassen. Das ist bei uns Menschen nicht der Fall. Die Künstler:innen gehen dabei von wissenschaftlichen Theorien aus, die bis vor 20 Jahren noch gar nicht wahrgenommen wurden. Die Biologin Lynn Margulis hat eine kleine Revolution in der Evolutionslehre formuliert, indem sie gesagt hat, es gehe nicht nur um das egoistische Gen, Darwin und das Gesetz des Stärkeren, sondern die Evolution habe ganz viel mit Symbiosen zu tun, mit Zusammenleben, Zusammenwirken von unterschiedlichen Organismen, die irgendwann auch miteinander verschmolzen sind. Die Künstler:innen spinnen diese wissenschaftliche Theorie ins Fiktionale weiter. Die Ausstellung ist jedoch keine Wissenschaftsshow. Vielmehr handelt es sich um spekulative Narrationen, denen wir da lauschen können. 

Was gibt es denn haptisch überhaupt in der dritten Etage zu sehen? Vielleicht auch außerirdische Nährlösungen?

Es gibt auf jeden Fall ein Aquarium voller Algenfarne, Azolla, zu sehen. Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten zeigen sieben großformatige Installationen, insgesamt fünf Videoinstallationen, eine Sound- und eine VR- und Video-Arbeit. Ein wichtiger Bestandteil der Installationen sind Textilien. Für jede Installation wurde computergeneriert ein Muster entwickelt, das thematisch mit dem jeweiligen Wesen verwoben ist.

Und was hat da Hexerei im Ruhr-Steinkohlebergbau zu suchen?

Das ist sehr spannend. Jana und Lex haben sich in Witten mit den Anfängen des Bergbaus im Muttental beschäftigt. Sie machen da eine ganz interessante Verbindung auf, indem sie sagen, mit dem Beginn des Bergbaus, mit dem Beginn der „modernen“ Welt, wurden alle Elemente ausgeschieden, die sowas wie Naturglauben oder sogenannte irrationale Formen der Verbindung mit der Natur dargestellt haben. Arndt Bottermann, auf den sie sich beziehen, soll einer der letzten sogenannten „Hexenmeister“ gewesen sein. Der Legende nach soll er einem Pferd ins Maul geschaut haben, das daraufhin gestorben ist. Ich weiß, dass es auch in Dortmund Hexenverbrennungen gegeben hat. Jana und Lex nutzen diese Thematik, um den Übergang in das Zeitalter der Moderne und der Industrialisierung – deren Basis die Kohleförderung und -verbrennung war – zu beschreiben.

Wo Säbelzahntiger technisch wiedererweckt werden?

Ja, das ist der absurde Glaube an die technische Machbarkeit von allen Dingen. Es gibt ja so verrückte Ideen, dass Leute meinen, man kann den Klimawandel damit bekämpfen, dass man Kohlendioxid aus der Atmosphäre zieht und im Boden verpresst. Es gibt auch Menschen, die glauben, man könnte mit Flugzeugen Partikel in die Atmosphäre sprühen, um die Sonneneinstrahlung zu verringern, damit es auf diesem Planeten nicht so warm wird. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Die Folgen solcher Handlungen wären vollkommen unabsehbar. Und da glauben auch manche, dass man ausgestorbene Lebewesen aus der DNA, die man noch findet, wiederherstellen kann. Ich frage: Wozu?

Lex Rütten & Jana Kerima Stolzer, „Xtract”, 2023 (Pattern)

Vielleicht schafft das ja bald eine KI. Wenn aber ChatGPT bald auch Kunst macht, wer verantwortet dann die Urheberschaft?

Das ist die Frage, ja. Es geht da aber nicht um ChatGPT, sondern um Systeme wie DALL-E, die aus dem Pool aller vorhandenen Bilder neue Werke generieren. Klar kann man da nach der Urheberschaft fragen, aber viel problematischer finde ich eigentlich den Glauben daran, dass KI Innovationen hervorbringen könnte. Dazu fehlt der KI menschlicher Innovationsgeist. Die KI reproduziert vor allem Vorhandenes, viele Vorurteile, biases, weil die KI ja mit irgendwas trainiert werden muss. Das nennt man maschinelles Lernen. Wir haben uns ja im HMKV in der Ausstellung House of Mirrors (2022) ausführlich mit KI beschäftigt. Ich persönlich ziehe es vor, von Mustererkennung zu sprechen statt von künstlicher Intelligenz. Denn das ist etwas, was die KI sehr gut kann: Sie kann in Big Data super gut Muster erkennen. Das kann sie in einer Geschwindigkeit und in großen Datenmengen, die wir als Menschen nicht bewältigen können.

Das könnte sie dann aber auch bei Bakterienkulturen, die natürlich riesengroß sind.

Klar. Man könnte eine KI vielleicht ganz gezielt dazu einsetzen, um die Evolution von Bakterienkulturen in eine bestimmte Richtung zu treiben.Aber das ist wieder so eine Spekulation.

We grow, grow and grow, we're gonna be alright and this is our show | 11.3.-30.7. | HMKV im Dortmunder U | 0231 13 73 21 55

Interview: Peter Ortmann

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