Der Ausstellungsraum ist dunkel, die Wände schimmern in samtigem Purpur, nur hier und da ein Lichteffekt. Das Setting changiert zwischen Geisterbahn, Labor und Theaterkulisse. Bühne frei, Spot an: An sieben Stationen regt sich was. Inmitten von bunt bedruckten Stoffen, Tapeten, Sitzelementen und weiterem Beiwerk tanzen und singen auf Flatscreens 3D-animierte Wesenheiten. Showtime für einen Perspektivenwechsel! Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten haben winzige Organismen, Algen, Korallen, auch Kohle und Kristalle in den Fokus gerückt und ihnen das Wort erteilt. Ihre Ausstellung im HMKV inszeniert das Dortmunder Künstlerpaar als multimediales Musical in sieben Akten. Die Darsteller – artifizielle Mischwesen aus Natur und Technik, Pflanze, Tier und Gestein – outen sich in ihren digitalen Performances als überraschend selbstbewusste Persönlichkeiten, die ungeahnte Symbiosen eingehen. Und ganz ohne uns Menschen ziemlich gut klarkommen.
Mal spricht ein Bakterium, das sich auf Smartphones wohlfühlt, mal die unsterbliche „Hydra“ oder der Algenfarn „Azolla“, der einst Eiszeiten auslöste, hier im Kabinettraum aber harmlos in seinem kleinen Aquarium dümpelt. Pflanze „Pionea“ sucht sich selbst neue Lebenswelten, ausgestorbene Tierarten irrlichtern umher und Roboter züchten ganz selbstbestimmt Pflanzen. Eine VR-Brille versetzt uns zurück in die Entstehungszeit der Kohle und verknüpft Bergbau mit Hexenverbrennungen. Der Parcours ist ein munterer, poesievoller Ritt zwischen Fake und Fakten, Kunst und Wissenschaft, dem man amüsiert und fasziniert folgen kann. Dank Kopfhörer und Audioguide, der vor den Stationen automatisch die schrägen Gesänge zuschaltet, stört kein nerviges Blingbling und sich überlagernder Lärmpegel aus anderen Monitoren, während man sich frei im Raum bewegt. Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten, die sich an der Kunstakademie Münster kennenlernten und nun im Künstlerhaus Dortmund arbeiten, haben jedes Detail perfekt durchgestylt, geforscht, komponiert, programmiert, genäht, bedruckt und arrangiert. Der gestalterische Aufwand raubt einem mitunter die naturwissenschaftliche Bodenhaftung. Was ist hier wahr? Zumindest, dass man gut unterhalten wird. Aber auch nachdenklich gestimmt. Wer weiß, was unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle wächst, wächst und wächst …
We grow, grow and grow, we're gonna be alright and this is our show | bis 30.7. | HMKV im Dortmunder U, Ebene 3 | 0231 13 73 21 55
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