Der gemeinsame Startschuss hatte den unscheinbaren Titel „Atelier III“ – so hieß die Choreografie, welche die renommierte Tänzerin Meg Stuart 2017 in einer ehemaligen Fabrik in Brüssel realisierte. Ihr ging es darum, Praktiken des Zusammenlebens und Begegnungsräume auszuloten, wofür Stuart in ihrer Choreografie lebende Körper dirigierte. Zugleich waren es jedoch Holz oder gar Klebeband, die eine wichtige Rolle in „Atelier III“ spielten. Dafür verantwortlich zeichnete der Szenograf und Theatermacher Jozef Wouters, dessen Projekt- sowie Atelierraum Decoratelier in der einstigen Industriestätte die Kulisse der Performance bildete.
Seitdem ist Wouters unabhängiger Artist in Residence bei Meg Stuarts 1994 gegründeten Compagnie Damaged Goods. In der Folge entwickelte Wouters gemeinsam mit Stuart und ihrem Dramaturgen Jeroen Peeters sich ständig weiterentwickelnde Stücke wie z.B. „The Soft Layer“ oder auch „Dream City“, das auf der Biennale in Tunis zu Gast war. In Tunis befragte Wouters die Locals, welche künstlerischen Visionen er während seiner Residenz in der historischen Stätte Dar Bairam Turki in Tunis umsetzen könnte.
Es gehört also zu seiner Herangehensweise, einen starken Bezug zu den spezifischen Örtlichkeiten hervorzuheben, um soziale Prozesse, einen Dialog und die Imagination anzustoßen. Für sein aktuelles Projekt unter dem Titel „A Day is a Hundred Years“ ging es dagegen wieder in sein kreatives Kraftzentrum, ins Decoratelier, welches Wouters seit 2019 mit Barry Ahmad Talib, einem Künstler aus Guinea, teilt. Beide verbrachten lange Wintermonate damit, tausende von Blättern aus Stoffbahnen auszuschneiden, welche wiederum die Grundlage für Talibs Baumskulpturen sind. Dieses Element floss in eine Gesamtkunstperformance ein, an der auch Handwerker:innen, Musiker:innen oder Dichter:innen mitwirken.
Durch eine Drehbühne überwindet die Choreografie die klassische Zentralperspektive zugunsten einer Vielzahl von Perspektiven; und eröffnet einen Einblick in die Theatermaschinerie des Decoratelier, das bereits in unzähligen Projekten Imaginationen und flüchtige Utopien in die trostlosen urbanen Winkel trug: als öffentlicher Raum des Miteinander.
Jozef Wouters: A Day is a Hundred Years | 16., 17.6 20 Uhr | PACT Zollverein | 0201 289 47 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Komme ich gut an?
„It‘s Me“ im Tanzmuseum des Deutschen Tanzarchivs Köln – Tanz in NRW 08/25
Im Körper graben
„Every-body-knows…“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 08/25
Chaos
NRW kürzt bei freien Tanzgruppen – Tanz in NRW 07/25
Der verhüllte Picasso
„Lamentos“ am Opernhaus Dortmund – Tanz an der Ruhr 07/25
Lustvolle Inspirationsquelle
Das Circus Dance Festival 2025 in Köln – Tanz in NRW 06/25
Tanz als Protest
„Borda“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 06/25
Lässiger Spott
„Ophelia‘s Got Talent“ am Schauspiel Köln – Tanz in NRW 05/25
Jenseits des männlichen Blicks
„Mother&Daughters“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 04/25
Plötzlich und heftig
Das Land NRW kappt Säulen der Tanzförderung – Tanz in NRW 04/25
Baum der Heilung
„Umuko“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 03/25
Tanz der Generationen
„Kaleidoskop des Lebens“ von Choreografin Suheyla Ferwer – Tanz in NRW 03/25
Überraschungen vorprogrammiert
Das Urbäng Festival 2025 in Köln – Tanz in NRW 02/25
„Kreativität entsteht manchmal aus Reduktion“
Marc L. Vogler über seine Arbeit als Hauskomponist der Jungen Oper Dortmund – Interview 09/25
Ein Fake für den Nobelpreis
„Der Fall McNeal“ in Düsseldorf – Prolog 08/25
Supernova oder Weltfrieden
„GenZ, weine nicht“ bei der Jungen Triennale in Bochum – Prolog 08/25
„Wir brauchen sichere, offene Orte“
Ab der Spielzeit 2025/26 leitet Dramaturgin Sabine Reich das Prinz Regent Theater in Bochum – Premiere 08/25
Schnöde Technik oder Magie?
„Oracle“ bei der Ruhrtriennale – Prolog 07/25
„Eine Welt, die aus den Fugen ist“
Kulturamtsleiter Benjamin Reissenberger über das Festival Shakespeare Inside Out in Neuss – Premiere 07/25
Von Shakespeare bis Biene Maja
Sommertheater in NRW – Prolog 06/25
„Das Publikum ist verjüngt und vielfältig“
Opernintendant Heribert Germeshausen zum Wagner-Kosmos in Dortmund – Interview 06/25
„Da werden auch die großen Fragen der Welt gestellt“
Kirstin Hess vom Jungen Schauspiel Düsseldorf über das 41. Westwind Festival – Premiere 06/25
Morgenröte hinter KI-Clouds
Das Impulse Festival 2025 in Mülheim, Köln und Düsseldorf – Prolog 05/25