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„Lampedusa“
Foto: Diana Küster

Wieder Handelsweg der Römer

30. Juni 2016

„Lampedusa“ in den Bochumer Kammerspielen – Theater Ruhr 07/16

Stampfen durch seichtes Wasser, ein Haufen aus Kleidung und ein klatschnasser Teddybär. Das sind die Utensilien, wenn das Theater auf brandaktuelle Ereignisse um uns herum schlaglichtartig reagiert. Am Bochumer Schauspielhaus hat man sich für „Lampedusa“ vom Briten Anders Lustgarten entschieden. Olaf Kröck inszeniert die deutschsprachige Erstaufführung in den Kammerspielen auf offener Bühne. Zwei Schauspieler im Wasserbassin vereint und doch geografisch weit entfernt. Die Monologe wechseln sich ab, man findet inhaltlich körperlich zueinander, ihre gedanklichen Ströme fließen auf das gleiche Ziel – doch um welchen Preis?

Stefano, ein Fischer auf der italienischen Insel Lampedusa im Mittelmeer, muss Leichen aus dem Meer fischen um leben zu können. Die britisch-chinesische Studentin Denise treibt in England Schulden für eine Wucherzinsfirma ein, um ihr Studium zu finanzieren. Das ist die Systemlogik, in der viele leben müssen. Beide kranken am System, haben die Hoffnung längst aufgegeben, doch Rettung naht in beiden Fällen von den Menschen, die von Europa krampfhaft ferngehalten werden. Keine Betroffenheitslyrik wird dabei ausgelassen, kein Klischee bleibt ungebraucht. Natürlich kann der Flüchtling aus Mali ausgerechnet Bootsmotoren reparieren und eine der Schuldnerinnen glättet als Mama Afrika Denise‘s Karma. So einfach gestrickt ist Lustgartens Stückstruktur. Oder anders herum, hätte ein Leviathan, hier nicht als mythisches Ungeheuer – obwohl der Autor zu Beginn eine Kausalität zwischen Antike und Heute beschwört – sondern gemeint als böse Monsterwelle im Mittelmeer des Odysseus, hätte also ein Leviathan den Mechaniker über Bord gespült und den Bäcker am Leben gelassen, die Geschichte wäre schon im Eimer, das Konstrukt perdu.

Aber so kommt der Kleiderhaufen ins Spiel, der kleine nasse Teddy und einige physische Einlagen auf der Bühne und im Bassin, bevor die Hoffnung den Zuschauer erreichen soll, der natürlich das Unmögliche alles längst weiß, Sozialhilfeempfänger eigentlich hasst, Farbige als Nachbarn scheut, sich aber im Theater der Betroffenheitslogik nicht entziehen kann. Wirkung dennoch gleich null.

„Lampedusa“ | R: Olaf Kröck | So 10.7.19 Uhr | Kammerspiele Bochum | 0234 33 33 55 55

PETER ORTMANN

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