Alan Turing entwarf 1950 einen Test, um herauszufinden, ob das Denkvermögen von Maschinen und Menschen gleichwertig sein kann. Die Skizze des Urvaters der Computer-Ära stellte dem Probanden einen Apparat und eine Person gegenüber. Im Test sollte der Fragensteller ohne Sicht- und Hörkontakt erraten, mit wem er es zu tun hat: Mensch oder Maschine? Denn sowohl Apparat als auch die Person versuchten in diesem Turing-Test den Probanden davon zu überzeugen, ein Mensch zu sein.
Was Turing damals als theoretische Skizze zeichnete, gebärt sich mittlerweile als so reale Imitation, dass der Robotiker Masahiro Mori diese irritierende Interaktion als „uncanny valley“ (unheimliches Tal) bezeichnete. So lautet auch der Titel dieses Ein-Personen-Stücks, bei dem der Schriftsteller Thomas Melle bereits auf der Bühne sitzt, als das Publikum in den Saal hereinströmt. Allerdings ist es nicht der wirkliche Melle. In seinem Hinterkopf ragt noch Hardware heraus und seine Gelenkbewegungen klingen mechanisch. Ein-Maschinen-Stück wäre wohl die bessere Bezeichnung oder müssen wir uns einfach an den Fortschritt einer digitalen Robotik-Ära gewöhnen?
Vier Tage verhandelten verschiedene Produktionen beim Festival „Blue Skies – Bodies in Trouble“, wie sehr diese neuen Technologien unsere Körper und unser Leben verändert. Übernehmen humanoide Roboter bald die Altenpflege? Und lockt diese neue Technik mit einem Leben, das menschliche Schwächen entbehrt, ein Leben ohne emotionale Schwankungen?
Um diese Frage dreht sich auch das Gastspiel, das Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) gemeinsam mit Thomas Melle entwickelte. Da kauert sein digitaler Doppelgänger auf einem Sessel und philosophiert los über die grenzenlosen Möglichkeiten, welche die Robotik eröffnet: allen voran die einschränkenden Unregelmäßigkeiten, die mit seiner bipolaren Störung zusammenhängen. In seinem Erfolgsroman „Die Welt im meinem Rücken“ habe er 2016 diese psychiatrische Krankheit geistig in Buchform ausgelagert. Nun folgte eben die körperliche Auslagerung. Auf einem Bildschirm werden die Lebensstationen des Schriftstellers eingeblendet, die die Melle-Maschine kommentiert – und zwar mit wenig Fortschritts- und Technik-Skepsis.
So erwähnt Melle regelmäßig Alan Turing, über den er eigentlich zuerst schreiben wollte. Bis ein manischer Schub die Pläne durchkreuzte. Als Mensch-Maschine ohne Gefühlsschwankungen, ohne Erkrankungen wäre das Projekt vielleicht möglich. Oder gehört zum Menschsein zwangsläufig der Zufall, das Ungewisse? Melle erwähnt zum Ende der Performance einen Schicksalsschlag im Leben von Turing, der wegen seiner Homosexualität erst verfolgt, schließlich zwangsmedikamentiert wurde. Depressiv wandte er sich vor seinem Freitod der Biologie zu. Der Denker der Algorithmen wollte die Welt des Zufalls studieren. „Der heutige Abend ist dieser Form der Schönheit gewidmet“, sagt der Android.
Zuvor hat er allerdings mit jenem menschlich-maschinellen Unbehagen gespielt: Als Roboter sei er codiert, die menschlichen Gefühle nachzuempfinden. Aber gilt das auch umgekehrt? Einfühlung (immerhin ein Zentralbegriff einer über 2000 jährigen Theatergeschichte) in einen Computer? Die Antwort ist ein Publikumsapplaus, der verunsichert loströpfelt, denn dieser Performance-Abend erscheint eben wie ein unheimlicher Turing-Test.
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