„Darauf habe ich den ganzen Abend gewartet“ begeistert sich der Karohemdträger, der sich bislang biertrinkend am Stehtisch in Bühnennähe festgehalten hat und nun sein Handy zückt. So kann ein Hit für eine Band Fluch und Segen zugleich sein, wenn Teile des Publikums nur darauf warten, einen bestimmten Song abfeiern oder das hunderttausendste Handyvideo davon filmen zu können. Glücklicherweise sind der Großteil der Menschen, die sich zu Tito & Tarantula im Dortmunder Piano zusammengefunden haben, nicht nur wegen eines Songs hier, sondern feiern euphorisch die Rückkehr des mexikanischen Blues-Rockers Tito Larriva. Rückkehr in doppelter Hinsicht: Wie so vielen anderen Musikern hat Corona auch Tito und seiner Band eine Zwangspause auferlegt und man hat sich erst wieder sammeln müssen, um an einer neuen Platte zu arbeiten und auf Tour zu gehen. Das Timing war dabei nicht ganz so glücklich: Die neue Scheibe wird erst 2025 erscheinen, auf der Tour gibt es nur einen neuen Song zu hören. Vor allem aber ist es eine Rückkehr in den Club, den Tito & Tarantula schon 2016 und 2019 zum Kochen brachten. Viele der Gesichter im Publikum waren schon vor fünf Jahren dabei. Die Band selbst hat seit ihrer Gründung Anfang der 1990er Jahre etliche Mitglieder verschlissen; Kopf und Frontmann Tito ist letztes verbliebenes Gründungsmitglied und natürlich fokussiert sich auch an diesem Abend alles auf ihn.
Mexikaner und Polen
Die Band startet mit dem von zahlreichen Tempiwechseln geprägten „German Fräulein“. Eine ungewöhnliche Wahl als Opener, aber danach hat Tito seine Fans umgehend im Griff. Die Setlist entwickelt sich zu einer Reise durch die Diskographie der Band und mit „El clavo y la cruz“ der Latino-Punkband The Plugz und „Flor de Mal“ der Nachfolgeband Cruzados greift Larriva sogar noch zurück in seine musikalischen Anfänge der 1980er. Die Sonnenbrille, die er zu Beginn noch trägt, nimmt er bald ab, gibt sich nahbarer. Der Mann, der als Schauspieler in „Desperados“ Quentin Tarantino ins Jenseits beförderte, erzählt Anekdoten vom Filmset und macht sich über Klischees lustig. Er fragt, ob Mexikaner im Publikum seien, die schonmal ein Auto geklaut hätten und wird aus dem Publikum belehrt, dass die Deutschen für dieses Klischee die Polen hätten. Neben dem meist breit grinsenden und sichtlich gut aufgelegten Frontmann sorgen Schlagzeuger Victor Ziolkowski sowie Titos Tochter Lolita Carroll Larriva am Bass für vorwärts treibenden Rhythmus, während Leadgitarrist Marcus Praed für die filigranen Soli zuständig ist. Neu dabei auf dieser Tour sind zwei Backgroundsängerinnen, die zwar bisweilen auch wechselnde Instrumente spielen, offensichtlich aber vor allem ein klein wenig verruchte Titty Twister-Club-Atmosphäre auf die Bühne bringen sollen.
Schlangentanz
Als einziger Song des kommenden Albums wird „Sneer at the Drummer“ gespielt, das sich bestens in die Klassiker-Setlist einfügt. Schade, dass Tito auf die andere Single-Vorabveröffentlichung verzichtet, denn „X the Soul“ ist ein absoluter Killer-Song, der das Potential zu einem (Underground-)Hit hat. Nach über 90 Minuten Spielzeit erklingt dann das markante Gitarrenintro, man meint, den Staub der Wüste auf den Lippen zu spüren. Da ist er: „After Dark“, jener legendäre Song, zu dem Salma Hayek ihren Schlangentanz in „From Dusk till Dawn“ zelebrierte und der zweifellos ein Höhepunkt eines Tito-Konzertes ist. Es hat Tradition, dass Tito im Laufe des Songs nach Freiwilligen fragt, die zum Tanz auf die Bühne kommen. Früher waren das zumeist jüngere weibliche Fans, die mal mehr mal weniger erfolgreich versuchten, lasziv zur Musik die Hüften zu schwingen. Dieses aus der Zeit gefallene Ritual hat sich zu einem Spaß für buchstäblich jedermann entwickelt. Die ersten Freiwilligen in Dortmund sind Männer, man bewegt sich eher unbeholfen, aber dafür mit umso mehr Spaß auf der Bühne. Einer wagt sich an das Mikro und ersingt sich mit kräftig rauer Stimme die Anerkennung des Publikums – einem anderen Fan überlässt Tito seine Gitarre. Schließlich wird sogar ein Rollstuhlfahrer mit vereinten Kräften auf die Bühne gehoben. Eigentlich ein gelungenes Abschlussbild, aber es folgt noch „Strange Face“, bevor sich die Band verabschiedet. Als Zugabe lassen Tito & Tatantula ihre „Angry Cockroaches“ durch den Saal flitzen, bevor sie mit „Everybody Needs“ den Abend beschließen. Es könnte kitschig klingen, mit der Zeile „Everybody needs somebody to love“ zu enden, doch die Dankbarkeit, die Tito Larriva in seine Abschiedsgesten legt, ist authentisch. Sein „See you next year!“ wird euphorisch aufgenommen. Gerne wieder hier im Piano.
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