„Well, I’m sorry girl but I can’t stay / Feelin’ like I do today / It’s too much pain and too much sorrow / Guess I’ll feel the same tomorrow“(„The Last Time“, The Rolling Stones). Für Florian Fiedler ist es seine letzte Spielzeit in Oberhausen – die Stadt möchte wohl lieber in biedere Fahrwasser und die Silberhaarfraktion zurück. Entsprechend premierenlastig wird das finale Aufbäumen. Für jeden Theaterfan ist etwas dabei. Die Äpfel und Birnen sind gepflückt, auf den Weinbergen wartet nur der noch der Eiswein auf den Frost, dann beginnt es – nicht unterkühlt – mit dem Stück „Wetterleuchten“, welches das Hinten nach vorne stellt und die Menschen auf die heiligen Bretter bringt, die Theater erst möglich machen und einen Abend hinter den Vorhängen am Laufen halten (verschoben auf voraussichtlich Mai 2022, Anm. d. Red.).Simone Dede Ayiviinszeniert eine Probe in fünf Akten, die „eine Hommage an das Theater von der Bühne aus, eine Arbeit zwischen Soundcollage, Technikshow und Massenchoreographie“ werden soll.
Da die Tage rapide kürzer werden und die Discounter längst auf Spekulatius und essbaren Baumschmuck umgestellt haben, muss sich auch das Theater frühzeitig auf die gewinnbringende Schulklassen-Klientel zur Adventszeit einstellen. Wer da zu spät kommt … Na, ihr wisst schon. Und angesichts des schlechten Images, das historische Märchen inzwischen wegen vermeintlicher Grausamkeiten oder nach Analyse der verwendeten Geschlechterrollen immer häufiger (und manchmal auch zurecht) aus Kinderzimmern und Theatern verbannt, hat die Oberhausener Bühne in diesem Jahr „Mermaids – Da musst du einfach drüber schwimmen“ im Programm (5.11.).
Shari Asha Crosson führt Regie, und im Flyer heißt es: „Ein Stück für Kinder ab vier über das Selbstvertrauen, nicht ins Muster passen zu müssen und die Kraft der eigenen Träume. Mit wenig Worten, viel Bewegung und einer Menge Fantasie“. Im Mittelpunkt Kajaani, der sich fragt, wie ein Junge wohl sein darf. Deshalb lernt er Meerjungfrauen kennen – mit herrlichen Haaren und schillernden Schwänzen. Und er trifft auf Mami Wata, die Göttin des Meeres, die ihm hilft, einer von ihnen zu werden. Zugegeben, bei Glitzerfisch und Seepferdchen können Traum, Realität und Fantasie schnell verschwimmen, aber so ganz ungefährlich scheinen diese Wasserwesen nach zeitgenössischer Konnotation ja auch nicht zu sein.
Aber Florian Fiedlers Team kann auch bodenständig. Akın Emanuel Şipals „Kohlenstaub und Bühnennebel“ thematisiert 101 Jahre Theater Oberhausen (30.10.). Der Intendant inszeniert selbst. Zwischen Ruhrgebietskomödie und Diskurssatire will das Stück die brüchige Geschichte einer Institution im Dienste der Kunst erzählen – vor dem Hintergrund der Geschichte des Ruhrgebiets in den vergangenen 100 Jahren. Dafür lässt Fiedler verschiedenste Hausgeister aus der Theatervergangenheit frei, und die machen den Theaterfreunden wohl echt zu schaffen.
Universelle Fragen stehen im Raum: Was ist wichtiger – die Kunst oder eine entspannte Probenatmosphäre? Und wer ist der Tenor aus dem Weinfass? Für wen sollte das Stück gemacht sein? Ist es das Publikum der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft? Welches Publikum zukünftig in Oberhausen bleiben wird, ist die große Frage. Silberhaar, ich seh’ dich wehen.
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