Die Bestürzung war groß, als im März 2018 ein Breitmaulnashorn in einem Reservat in Kenia eingeschläfert werden musste. Damit verstarb der letzte nördliche Breitmaulnashorn-Bulle, der letzte männliche Vertreter seiner Art. Doch Sudan, so sein Name, hinterließ noch zwei letzte Exemplare dieser Nashorn-Unterart: Najin und Fatu, seine Tochter und Enkelin. Die beiden Kühe leben im „Ol Pejeta Conservancy“ in Kenia und stehen im Fokus der Wissenschaft, die versucht, ihre Art zu retten – im Labor.
Um diese zwei weiblichen Breitmaulnashörner dreht sich auch Gaston Cores Performance „The Very Last Northern White Rhino“, die im Rahmen des Frühlingsfestivals von PACT Zollverein ihre Deutschlandpremiere feiert. Der Performer, Choreograph, Theatermacher und Kulturmanager eröffnet diese Thematik als Soloperformance, alleine in komplett schwarzer Kleidung, auf einer schwarzen wie leeren Rampe. Das klingt düster, gar nach Trauer.
Denn das drohende Artensterben als Bühnensujet beschwört einen schauerhaften, mahnenden und elegischen Gehalt herauf. Denn während die Wissenschaft Najins und Fatus Phase als „funktionales Aussterben“ kategorisiert, bezieht sich Gaston Core auf die Schilderungen des New York Times-Reporter Sam Anderson. Der Journalist war vor Ort, um zu beschreiben, wie jene zwei Breitmaulnashörner unter der gleißenden Sonne ihr Dasein fristen, mit deren Tod die Geschichte ihrer Spezies ende.
Im Bild dieser beiden Breitmaulnashörner eröffnet sich damit eine Zeugenschaft, ein letzter Blick auf eine Art, die im Verschwinden begriffen ist. Trotz ihrer enormen Körpergröße und ihrer markanten Hörne drücken Najin und Fatu den Betrachter:innen allein durch ihr drohendes Daseinsende einen Anthropomorphismus auf: Nehmen sie angesichts eines fortschreitenden Klimakollaps und der damit einhergehenden Zerstörung von Lebensgrundlagen das Schicksal des homo sapiens vorweg?
Und so geht es Gaston Core in „The Very Last Northern White Rhino“ darum, als ein einzelner Mensch auf der Bühne dieser Symbolkraft einer aussterbenden Art in eine Choreografie zu übersetzen. Seine Companie exerziert gemeinsam mit dem Tänzer Oulouy den Tanz als Exzess, als Fest der Vitalität und des Glücks, was sicherlich auch bei diesem Reigen um das Artensterben zu erwarten ist.
The Very Last Northern White Rhino | C: Gaston Core | Fr 24.3. 19 Uhr | PACT Zollverein | www.pact-zollverein.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Im Körper graben
„Every-body-knows…“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 08/25
Tanz als Protest
„Borda“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 06/25
Jenseits des männlichen Blicks
„Mother&Daughters“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 04/25
Baum der Heilung
„Umuko“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 03/25
Freigelegte Urinstinkte
„Exposure“ auf PACT Zollverein in Essen – Prolog 11/24
Lesen unterm Förderturm
Lit.Ruhr in mehreren Städten – Festival 09/24
Überleben, um zu sterben
Bund will bei der Freien Szene kürzen – Theater in NRW 09/24
Verzauberung des Alltags
The Düsseldorf Düsterboys in Essen – Musik 07/24
Körperpolitik und Ekstase
„Tarab“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 07/24
Fortschritt ohne Imperialismus
„Libya“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 02/24
Vernetzung und Austausch
Kultur Digital Kongress auf PACT Zollverein – Gesellschaft 10/23
Die Trommel mal ganz vorne
„Schlagzeugmarathon“ in Essen – Improvisierte Musik in NRW 08/23
Auf einem Mistkäfer zum Olymp
„Der Frieden“ am Schlosstheater Moers – Prolog 09/25
Ein großartiges Schlachten
Elfriede Jelineks „Am Königsweg / Endsieg“ in Essen – Prolog 09/25
„Es geht auch um Fake News“
Regisseurin Lola Fuchs über „Der zerbrochene Krug“ am Schauspielhaus Dortmund – Premiere 09/25
„Kreativität entsteht manchmal aus Reduktion“
Marc L. Vogler über seine Arbeit als Hauskomponist der Jungen Oper Dortmund – Interview 09/25
Ein Fake für den Nobelpreis
„Der Fall McNeal“ in Düsseldorf – Prolog 08/25
Supernova oder Weltfrieden
„GenZ, weine nicht“ bei der Jungen Triennale in Bochum – Prolog 08/25
„Wir brauchen sichere, offene Orte“
Ab der Spielzeit 2025/26 leitet Dramaturgin Sabine Reich das Prinz Regent Theater in Bochum – Premiere 08/25
Schnöde Technik oder Magie?
„Oracle“ bei der Ruhrtriennale – Prolog 07/25
„Eine Welt, die aus den Fugen ist“
Kulturamtsleiter Benjamin Reissenberger über das Festival Shakespeare Inside Out in Neuss – Premiere 07/25
Der verhüllte Picasso
„Lamentos“ am Opernhaus Dortmund – Tanz an der Ruhr 07/25
Von Shakespeare bis Biene Maja
Sommertheater in NRW – Prolog 06/25