„Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft“ lautete einst der Untertitel zu Georg Büchners Drama „Dantons Tod“. In vier Akten wird da untersucht wie die Revolution ihre Kinder frisst und wie der maßlose Schrecken, definiert als legitimes Mittel zur Befreiung, erst einmal die Oberhand gewinnt. Am Ende ist die Revolution im Chaos versunken und bei Büchner der gemäßigte Danton tot.
„The Return of Danton“ heißt das neue Stück des syrischen Dramatikers Mudar Alhaggi. Das Theater an der Ruhr in Mülheim zeigt es im Juni unter der Regie von Omar Elerian mit dem „Collective Ma´louba“-Theaterlabor, das diese Inszenierung online beim alle zwei Jahre stattfindenden Londoner Multi-Kunstform-Festival Shubbak (auf Arabisch „Fenster") beisteuert.
Freiheitskämpfe damals und heute
Das Stück, das auf Arabisch geschrieben und aufgeführt wird, ist eine zeitgenössische Erkundung wie die Dynamik politischer Revolutionen im Theater bereits in der Politik des Probenraums reflektiert werden kann. Der Zeitrahmen der betrachteten Freiheitskämpfe reicht dabei bis zum gescheiterten Arabischen Frühling, der auch zeigt, wie schnell sich verfestigte ehemalige politische Strukturen trotz Revolution wieder etablieren können, wenn man sie nicht restlos abschafft.
Worum geht es? Ein Kollektiv von in Deutschland lebenden syrischen Schauspieler*innen probt (im Theater an der Ruhr) eine zeitgenössische Adaption von Büchners „Dantons Tod“. Im Zentrum steht der Konflikt zwischen Danton und Robespierre, den zwei großen Figuren der Französischen Revolution. Dummerweise ist das Stück deutscher Hochkultur ziemlich verworren, dem Reigen der darin vorkommende Figuren ist kaum zu folgen, außerdem wurde es ziemlich schlecht ins Arabische übersetzt, war dem allgemeinen Verständnis und der Variationsmöglichkeit der Schauspieler nicht gerade entgegen kommt.
Die Rolle der Kunst?
Intern läuft es in der Truppe auch nicht gerade rund, der Regisseur will mit der Adaption eines deutschen Klassikers die Finanzierung sichern, doch die Dramaturgin wollte lieber ein neues Stück über den Alltag von syrischen Flüchtlingen im Ausland schreiben und so spiegelt bald die Kunst das Leben wider, das Ensemble kämpft mit Büchner, der Regisseur mit der Struktur. Soll das etwa Revolution sein oder ist das schon ein Gleichnis auf ewiges Scheitern? Und wie ist es mit den Kunstschaffenden? Bald ist der Raum mit Zigarettenqualm geschwängert und die vier streiten lautstark über ihre widersprüchlichen Ansichten über die syrische Revolution und ihre Rolle als Künstler*innen im Exil. Fast unbewusst dringen sie dabei immer tiefer in die Themen des Stücks, aber werden sie am Schluss – zehn Jahre nach der syrischen Revolution – tatsächlich wissen, was da passiert ist und ob der Kampf jemals gewonnen werden kann?
The Return of Danton | 20.6. 20 Uhr (Livestream), 21.6. bis 17.7 abrufbar | Theater an der Ruhr Mülheim
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Eine andere Art, Theater zu denken“
Dramaturg Sven Schlötcke über „Geheimnis 1“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Premiere 08/24
Brautkleid aus reinster Haut
„Subcutis“ in Mülheim a. d. Ruhr und Köln – Theater Ruhr 01/24
„Theater wieder als Ort einzigartiger Ereignisse etablieren“
Dramaturg Sven Schlötcke übertiefgreifendeVeränderungen am Mülheimer Theater an der Ruhr – Premiere 08/23
Ibsen im syrischen Knast
„Up there“ am Theater an der Ruhr – Prolog 11/22
Auf diesem geschundenen Planeten
„Weiße Nächte / Retour Natur“ des Theater an der Ruhr – Prolog 08/22
Vom Universum geblendet
„Vom Licht“ am Theater an der Ruhr – Auftritt 04/22
Gegen den Mangel an Erkenntnis
„Vom Licht“ in Mülheim – Prolog 03/22
Nebel, Schaum und falsche Bärte
„Nathan.Death“ am Theater an der Ruhr – Auftritt 11/21
Wenn die Natur zum Ausnahmezustand wird
Vladimir Sorokins „Violetter Schnee“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Bühne 08/21
Beuys inklusive Torte, Kerze und Whisky
Theater, Kunst und Musik gegen Kohle: die Weißen Nächte im Theater an der Ruhr – Festival 08/21
Die Toten zum Verwesen freigegeben
„Antigone. Ein Requiem“ im Theater an der Ruhr in Mülheim – Bühne 02/21
Von Sophokles zu Frontex
„Antigone. Ein Requiem“ im Theater an der Ruhr in Mülheim – Prolog 02/21
Zahlreiche Identitäten
6. Hundertpro Festival in Mülheim a.d. Ruhr – Prolog 07/24
Keine Spur von Rechtsruck
Die Ruhrtriennale 2024 in Bochum, Duisburg und Essen – Prolog 07/24
Körperpolitik und Ekstase
„Tarab“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 07/24
„Das Risiko war der Neustart“
Die Intendantinnen Christina Zintl und Selen Kara nach ihrer ersten Spielzeit am Schauspiel Essen – Interview 07/24
„Das ist fast schon eine Satire“
Alexander Becker inszeniert „Die Piraten von Penzance“ am Opernhaus Dortmund – Premiere 07/24
Für Groß und Klein im Ruhemodus
Sommertheater in NRW – Prolog 06/24
Piraten von gestern und heute
Die Junge Oper Dortmund zeigt „Die Piraten von Penzance“ – Prolog 06/24
Queen trifft Edith Piaf
„Bye-Bye Ben“ am Aalto Theater Essen – Tanz an der Ruhr 06/24
Non-binär und nicht vergoethet
„Mein Blutbuch“ in der Essener Casa-Theaterpassage – Prolog 06/24
„Es ist ein Weg, Menschen ans Theater zu binden“
Regisseurin Anne Verena Freybott über „Der Revisor kommt nach O.“ am Theater Oberhausen – Premiere 06/24
Grusel und Skurriles
40. Westwind Festival in Essen – Prolog 05/24
Gegen Remigrationspläne
Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen – Was danach geschah“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 05/24