Es liest sich wie ein Querschnitt aus dem Literaturkanon, den der Choreograf Edward Clug als Ballettadaptionen auf die Bühne brachte: Im Dezember 2021 war es etwa Michail Bulgakows Stalinismus-Satire „Meister und Margarita“, die Clug am renommierten Moskauer Bolschoi tänzerisch umsetzte. Der längst auch an deutschen Balletthäusern gefeierte Choreograf wagte sich auch daran, einen Shakespeare-Klassiker mit Britpop zu konfrontieren. Denn Clugs „Radio & Juliet“ (2005) kombinierte die Tragödie mit den Songs der britischen Band Radiohead.
Musik und Stück passten scheinbar nicht zusammen. Doch das galt auch lange für die Peer Gynt-Suiten, die der Norweger Edvard Grieg 1866 für das gleichnamige dramatische Gedicht seines Landsmanns Henrik Ibsen komponierte. Zeitgenossen monierten, dass Griegs Orchesterwerk zu nationalromantisch sei, weswegen es in zeitgenössischen Bühnenproduktionen entweder gar nicht oder ironisch gespielt wurde. Dass Stück und Suite doch eine harmonische Choreografie ergeben, bewies Clug 2005 mit seiner „Peer Gynt“-Aufführung im slowenischen Nationaltheater in Maribor, dessen Ballettdirektor er ist.
Nun zeigt er seine Ballettfassung von „Peer Gynt“ im Opernhaus Dortmund, wo der rumänische Choreograf bereits mit Interpretationen von „Hora“ und Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ zu Gast war. Dass das Publikum alles andere als ein minimalistisches Bühnenbild erwarten kann, liegt an der Reise, auf die Ibsen seinen titelgebenden Bauernsohn schickt. Sie führt ihn letztendlich in ein Irrenhaus bei Kairo, bevor sich Gynt, alt und verarmt, in einer berühmten Schlussszene mit einer Zwiebel vergleicht: voller Hüllen, aber ohne Kern.
Denn es ist bekanntlich eine Phantasiewelt, mit der sich Ibsens Figur von der trostlosen Realität abschirmt. Daraus eröffnet Clug einen Reigen aus Lügen, die zugleich die Motive aus den Abenteuern aufgreift, in die sich Gynt stürzt: Trolle, Feen oder fliegende Teppiche sorgen somit für eine opulente Requisiten- und Kostümshow. Wie sich die Tänzer:innen dazu bewegen können, weiß Clug: „Peer Gynt“ war das erste Stück, das der Rumäne 1991 in der Choreografie von Vaclav Orlokowsky tanzte. So schließt sich ein Kreis – genauso wie mit Edvard Griegs Peer Gynt-Suiten.
Peer Gynt | C: Edward Clug | 4.(P), 11., 17., 25.2., 1., 4., 19.3. jeweils 19.30 Uhr | Opernhaus Dortmund | 0231 50 27 222
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Akustischer Raum für den Tanz
Jörg Ritzenhoff verändert die Tanzwahrnehmung – Tanz in NRW 02/23
Verflüchtigung der Männlichkeit
„Bisonte“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 02/23
Interzone
Urban Dance im Theater Oberhausen
Kann KI Kunst?
Experimente von Choreografin Julia Riera – Tanz in NRW 01/23
Heldentanz
„Odysseus“ am MiR
Wie geht es weiter?
Mechtild Tellmann schaut auf Zukunft des Tanzes – Tanz in NRW 12/22
Das Kollektiv als Opfer
„Danza Contemporanea de Cuba“ in Bochum – Tanz an der Ruhr 12/22
Erkenntnisstunde für den Westen
Radouan Mrizigas „AKAL“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 11/22
Der Zirkus verwandelt die Welt
„Zeit für Zirkus“ - Festival in NRW – Tanz in NRW 11/22
Reflexion oder Reaktion?
Urbäng! Festival mit Sonderausgabe zur Ukraine – Festival 10/22
Dem Tod auf der Spur
Neues von Angie Hiesl und Roland Kaiser – Tanz in NRW 09/22
Vergessene Kapitel
„Revenants“ beim Favoriten Festival – Tanz an der Ruhr 09/22
Angst
Beobachtung eines Kritikers im Kindertheater – Bühne 02/23
„Bellini zu spielen ist eine Gratwanderung“
Johannes Erath über „La Sonnambula“ in Düsseldorf – Interview 02/23
Wurzeln sind stärker als das Klima
„Wo steht dein Maulbeerbaum?“ im Schauspielhaus Bochum – Auftritt 02/23
„Bedürfnis nach Wiedergutmachung“
Aisha Abo Mostafa über „Aus dem Nichts“ am Theater Essen – Premiere 02/23
Mit Psyche in die Unterwelt
„Underworlds. A Gateway Experience“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 01/23
„Der Gegenpol zum Wunsch nach Unsterblichkeit“
Ulrich Greb über „#vergissmeinnicht“ am Schlosstheater Moers – Premiere 01/23
Wenn einem die Natur kommt
„Woyzeck“ am Theater Oberhausen – Auftritt 01/23
Widerstand ist immer machbar
Januar-Programm der Freien Theater im Ruhrgebiet – Prolog 01/23
Tonight's the Night
Musikalische Silvester an den Theatern im Ruhrgebiet – Prolog 12/22
Das Versinken von Erinnerung
„Der Bus nach Dachau“ bei den Bochumer Kammerspielen – Auftritt 12/22
„Geld ist genau das Problem in diesem Bereich“
Maike Bouschen über „Zwei Herren von Real Madrid“ am Theater Oberhausen – Premiere 12/22