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Die entlassenen „Top Dogs“ unter sich
Foto: Martin Kaufhold

Outlet-Center für Manager

31. März 2016

„Top Dogs“ am Schauspiel Essen – Theater Ruhr 04/16

Ohne Pezzi geht nichts. Die therapeutische Wirkung des Trainingsballs für Topmanager ist nicht zu unterschätzen. Ihre Kugelgestalt erinnert die abgehalfterten Konzernlenker nämlich noch einmal an ihre frühere globale Macht – so wie Charlie Chaplin in „The Great Dictator“ mit der Weltkugel flirtete. In Christoph Roos‘ Inszenierung von Urs Widmers „Top Dogs“ versammeln sich die Ex-Wirtschaftsbosse in einer hellen, rundum samtweich abgepolsterten Zelle. Die White-Collar-Worker tragen Strumpf zum Anzug und wandeln lautlos durch diese Oase der Arbeitslosigkeit. Loungemusik sickert leise in den Raum und verhilft zu akustischer Sedierung, nichtsdestotrotz lässt sich der reflexhafte Griff zum Handy noch nicht ganz unterdrücken. Dodo Deer (Thomas Büchel) trägt als Neuankömmling noch Schuhe: In weltfremder Emphase schwadroniert er von der Restrukturierung und Globalisierung der Cateringabteilung seiner Firma und versteigt sich in pompöses Wortgeklingel – bis ihm Susanne Wrage (Ines Krug) den „Schock der Entlassung“ endlich beibiegt. Mit sanftem Sarkasmus holt sie ihn auf den Boden der Kündigungs-Tatsachen und nordet ihn auf die New Challenge Company, dieses Outlet-Center für Manager, ein.

Urs Widmers 1996 uraufgeführtes Stück gilt als Klassiker der angewandten theatralen Unternehmenskritik. Verdrängung, Statusgehabe, Pressionen, Ängste – das Personal geht durch die Höhen und Tiefen der Arbeitslosigkeit – und nahm damit die Strudel der unterschiedlichen Krisen von 2001 bis 2008 vorweg. Christoph Roos hebt in Essen die Revuestruktur von „Top Dogs“ mit dem Wechsel zwischen Soloszenen, Tanzeinlagen und Gruppenszenen hervor. Immer wieder lockern Tanzübungen die Rollenspiele und Geständnisse auf. Doch zunächst gilt es, das Unvermeidliche zu begreifen. Müller (Sven Seeburg), der sich in die Merkel-Raute flüchtet, gibt den Unberührten, bis ihn der Zusammenbruch ereilt. Bihler (Jan Pröhl) wiederum hat seinen Manager-Alltag nach dem Rauswurf einfach simuliert. Und noch heute deuten die zupackend ins Leere fahrenden Arme, die zwei Finger an der Nasenwurzel auf hohle Posen der Verantwortlichkeit. Thomas Meczele als Neuenschwander wiederum gibt den alerten und jungdynamischen Fetischisten des Ertrags, der seine Frau „Maus“ nennt und sie aus Wut auf seinen Arbeitgeber verprügelt hat. Die frauenverachtenden Statements der Männer wirken heute allerdings in ihrer Plumpheit antiquiert. Misogynie tarnt sich heute nur besser, siehe den Eiertanz um die Frauenquote in Aufsichtsräten.

Den kritischen Biss hat Widmers Stück verloren, wenn es ihn denn je hatte. Man schaut in ihrem Elend grotesk zappelnden Mittelbau-Manager wie Axel Holst als Krause zu, der zwischen psychosomatischer Totalbaustelle, erster Schritte als Normalo und brüllender Aggression sich völlig auflöst. Am Ende schafft nur eine den Sprung ins vermeintlich reale Leben: Silvia Weiskopf als Julika Jenkins, die schon als Teamleiterin die harte Nummer durchgezogen hat, schlüpft einfach durch die Wand in eine lächerliche Naturidylle.

„Top Dogs“ | R: Christoph Roos | Do 7.4., Sa 23.4. 19.30 Uhr, So 24.4. 16 Uhr | Schauspiel Essen | 0201 81 222 00

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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