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„Superhero“
Foto: Martin Kaufhold

Der Humor eines Toten

26. Januar 2017

Anthony McCartens „Superhero“ am Schauspiel Essen – Theater Ruhr 02/17

Der Gegenangriff läuft auf vollen Touren. Die Gammastrahlen ballern, was die Laserkanonen hergeben. Die chemischen Substanzen fressen sich unerbittlich in die Zellen, bis sie aufgeben. Mit vereinten Kräften walzen sie den Krebs nieder – für dieses Mal. Trotzdem kann sich der 14-jährige Donald Delpe kaum freuen über den Erfolg. Eingerollt in seinen Kapuzenpulli hockt er erschöpft in einem Plexiglaskasten, ein gesund geschossenes Stück Fleisch, dessen Seele wundgerieben ist von der ständigen Todesdrohung. Fürsorglich trocknet ihn seine Mutter (Ines Krug) ab, sein Vater (Sven Seeburg) hilft ihm, das Shirt zu wechseln. Doch der Ausflug ins Kino ist einen tiefe Enttäuschung: „Das Glück kommt ihm vor wie eine Lüge.“

Anthony McCartens Roman „Superhero“ ist der Versuch, das heikle Thema Krebs von Jugendlichen anschaulich zu machen. Donald Delpe hat Leukämie und durchläuft die ganze therapeutische Maschinerie, die die heutige Medizin aufbieten kann. Seine Eltern müssen in die seelische Achterbahn, den der bevorstehende Tod des eigenen Kindes bedeutet. Doch McCarten reichert seinen Plot durch zwei Ingredienzien an. In Donald tobt nicht nur der Krebs, sondern auch die Pubertät. Und nichts will er mehr, als endlich mit einer Frau schlafen, dem Tod elementaren Sex entgegensetzen, ihn mit einer erotischen Rochade in die Enge treiben. Und Donald verfügt noch über ein zweites Antidot: Er zeichnet Comics mit dem selbst erfundenen „Miracleman“, der zwar notorisch furzt, aber ein unbesiegbarer Superhero und Frauenverführer ist.

Regisseur Karsten Dahlem hat aus McCartens Roman eine unwiderstehlichen Theaterfassung gemacht, die mit ihren schnellen Schnitten und Überblendungen, ihren ständigen Rollen- und Ebenenwechseln nicht nur Tempo, sondern eine fast traumhafte dramaturgische Leichtigkeit entwickelt. Auf der Bühnen allerdings wirkt das bodenständiger und konventioneller als beim Lesen. Philipp Noack dreht gleich zu Beginn allzu kräftig auf und überspielt die Figur des 14-Jährigen leider ein wenig. Später gelingt ihm dann ein überzeugender Spagat zwischen humorvoller, pubertärer Sexgier und dem in Todesahnungen verschlossenen Jungen, der sich verkapselt. Mehr als überzeugend dagegen seine Partnerin Jaëla Carlina Probst als Shelley, die als gleichaltriges Objekt der Begierde alle Register von blasiertem Desinteresse bis zu wachsender Neugier zu ziehen weiß. Auf die Wand des Plexiglaskubus (Ausstattung: Inga Timm) werden Comiczeichnungen projiziert, eine zweiköpfige Band treibt mit etwas altbackendem Rock die Handlung voran. Was dem Abend fehlt, ist der tänzelnde Wechsel zwischen Realität und Fiktion, der Flucht, Therapie und Spiel mit Rollen zugleich sein könnte. Andererseits gelingen dem Essener Ensemble gerade die komischen Szenen, die Donalds unerbittliche erotische Jagd mit sich bringen, besonders gut. Wer zuletzt lacht, lacht am besten: Vom Dach des Kubus berichtet der tote Donald schließlich mit dem Humor des Jenseitigen von seinen letzten Sexversuchen.

„Superhero“ | R: Karsten Dahlem | Mo 13.2., Sa 18.2. 19 Uhr | Schauspiel Essen | www.schauspiel-essen.de

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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