Nach 13 Jahre beendet Christian Tombeil 2023 seine Intendanz am Essener Schauspiel. Als Nachfolgerinnen wurden die Regisseurin Selen Kara und die Dramaturgin Christina Zintl ausgewählt. Das Duo fungiert als gemeinsame Leitungsspitze. Kara arbeitet als freie Regisseurin u.a. am Schauspielhaus Bochum und am Nationaltheater Mannheim mit Schwerpunkt transkulturelle Projekte. Zintl war Künstlerische Leiterin des Stückemarkts des Berliner Theatertreffens. Nach Stationen in Düsseldorf und Nürnberg arbeitet sie derzeit als Dramaturgin und Mitglied des Leitungsteams am Staatstheater Darmstadt.
Man braucht nicht viel Phantasie, um hinter der Essener Entscheidung das „Dortmunder Modell“ zu entdecken: Dort wurden vor zwei Jahren die „diversitätserfahrene“ Regisseurin Julia Wissert und die leitungserfahrene Sabine Reich als Schauspielintendantinnen berufen. Nicht anders jetzt in Essen mit Selen Kara und Christina Zintl. Die Doppelspitze erhöht nicht nur die Quote weiblicher Leitungsfiguren am Theater, sie fungiert auch als Antidot gegen toxische Theater-Virilität. Die in einem türkischstämmigen Arbeiterhaushalt aufgewachsene Selen Kara repräsentiert zudem die diverse Essener Stadtgesellschaft fast idealtypisch.
Der Ausgangspunkt der Konzeption sei denn auch die Frage gewesen „Für wen machen wir Theater?“, so das neue Leitungsduo auf der Homepage des Essener Grillo-Theaters. Daraus habe man die Vision „Ein neues deutsches Theater – das Grillo für alle“ entwickelt. Im Zentrum steht die Widerspiegelung der Diversität der Stadtgesellschaft vor, auf und hinter der Bühne. Neben dem Kernrepertoire soll der Fokus auf „zeitgenössischer Dramatik, Roman- und Filmbearbeitungen, aber auch auf Recherche-Geschichten und Projekten im Stadtraum“ liegen. Besonderes Augenmerk gilt dabei einer „Erweiterung des Kinder- und Jugendtheaters“. Die eigentliche Doppelvision des Duos Kara/Zintl lautet allerdings so: Mit der Forderung „Practice, what you preach“ soll die kognitive Dissonanz des Theaters, nach außen Gleichberechtigung zu predigen, innen aber hierarchisch zu agieren, beendet werden. Zugleich verstehen die beiden „dasTheater als ‚Schule der Empathie‘“, in der plurale Perspektiven fair und demokratisch ausgehandelt würden. Was das ästhetisch bedeutet, wird man ab 2023 sehen.
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