Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten? Träume sollten auch frei sein, obwohl diverse Hollywood-Schinken uns bereits etwas anderes glauben machen wollen. Aber träumen wir immer in der Muttersprache – oder geht das nach einiger Zeit verloren unter fremden Menschen, deren Sprache wir gelernt haben? „Bir lisan, bir insan. Iki lisan, iki Insan“ (übers.: „Eine Sprache, ein Mensch. Zwei Sprachen, zwei Menschen“), dieses Sprichwort aus dem Türkischen liefert eine einfache Antwort. Für viele Menschen, die nicht mehr in ihrer Heimat leben, ist das sicher ein dauerhaftes Problem. Denn wer keine eigenen Worte in der neuen Sprache mehr findet, der kann sich auch nur noch oberflächlich verständigen. So entsteht zwangsläufig eine immer größer werdende Lücke zwischen Sprache und Realität.
Mit dem Ensemble seines neuen Stücks und Menschen aus Dortmund macht sich der türkische Autor und Regisseur Tanju Girişken im neuen Jahr auf die Suche nach Werkzeugen, die helfen sollen, wenn die Worte fehlen. „Null Zucker“ heißt die Uraufführung im kleinen Studio des Dortmunder Theaters. Sie soll ein süßer Abend über die Muttersprache werden, trotz der Lücken zwischen Sprache und Realität. Die scheinen für Girişken auch ein Instrument zu sein, um die in einer Gesellschaft vorherrschenden Machtverhältnisse zu festigen und die auf Abstand zu halten, deren andersartige Denkweise unbegründet Angst erzeugt. So definiert beispielsweise die im deutschen Exil lebende preisgekrönte Autorin Asli Erdogan die türkische Sprache als ihre Heimat, die sie über alles liebt. Monatelang saß die Menschenrechtsaktivistin in der Türkei im Gefängnis und hat dennoch Angst, nach fünf Jahren im Ausland über die fehlenden Worte ihre einstige Heimat zu verlieren. Kein Wunder, in Deutschland regelt alles die Bürokratie: Seit 2005 sollen z.B. Kurse die sprachliche Integration von Migrantinnen und Migranten sicherstellen. Lücken zwischen Sprache und Realität schließt das natürlich nicht.
Null Zucker | 17. (UA), 24., 26.1. | Theater Dortmund, Studio | 0231 502 72 22
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