Es gibt ein Leben nach der RuhrTriennale. Und es findet mitten unter uns statt. An den Theatern der Städte, in den Museen im Land, in kleinen Häusern und auf großen Bildschirmen. Drei Beispiele für möglicherweise außergewöhnliches Theater.
Bochum. Der tunesische Regisseur Fadhel Jaïbi hat die Schizophrenie des Lebens in einem Polizeistaat, der von sich behauptet, ein Rechtsstaat zu sein, in Tunesien jahrzehntelang am eigenen Leib erfahren. Und er war ein wichtiger Vertreter der tunesischen Intellektuellen, als eben dieses System im Januar 2011 zusammenbrach. Gemeinsam mit der Autorin Jalila Baccar und den Schauspielern des Ensembles nimmt er nun Kafkas Roman „Der Prozess“ zum Anlass, eine Parabel auf die Absurdität staatlicher Willkür zu entwickeln, die sowohl von Kafkas Labyrinth als auch von den Ereignissen inspiriert ist, die in den letzten beiden Jahren die Welt verändert haben. Das immer Fragment gebliebene Stück Weltliteratur, das dadurch vielleicht eine Besonderheit in Kafkas Welten darstellt, die als Inbegriff des Mehrdeutigen gelten.
Essen. Die alttestamentarische Figur Hiob inspirierte den Journalisten und Literaten Joseph Roth zu seinem Mendel Singer, der harte Schicksalsschläge erfährt, aber auch märchenhaftes Glück, der am Leben verzweifelt und doch schließlich wieder Hoffnung schöpft. Roth beschreibt einen verbohrt-strenggläubigen Mann, dessen Blick sich nach durchlebtem Leid weitet und der sich schließlich der Welt zuwendet. Schon ein Jahr nach seiner Veröffentlichung im Oktober 1930 wurde der Roman vielfach übersetzt. „Hiob“ ist neben dem zwei Jahre später entstandenen „Radetzkymarsch“ das erfolgreichste Werk Roths. Es spielt in Südrussland, vor dem Ersten Weltkrieg. Alles beginnt mit der Prophezeiung eines Rabbis: „Der Schmerz wird ihn weise machen, die Hässlichkeit gütig, die Bitternis milde und die Krankheit stark“.
Dortmund. Uraufführung einer „True crime-Tragödie“:In dem winzigen Ort Plainfield, Wisconsin, wird die 58jährige Ladenbesitzerin Bernice Worden aus ihrem Geschäft entführt. Als Polizisten ein Farmhaus in der Nähe überprüfen, finden sie ihren ausgeweideten und geköpften Körper sowie Teile von mindestens 15 verschiedenen anderen Leichen – darunter eine Sammlung Nasen, Masken aus Gesichtshaut, Fressnäpfe aus Totenschädeln und in der Pfanne auf dem Herd ein menschliches Herz. Das Farmhaus gehört Edward T. Gein, zu diesem Zeitpunkt 50 Jahre alt. Unter dem Namen „Der Schlächter von Plainfield“ wird er zum berüchtigtsten Verbrecher seiner Zeit: Nach dem Tod der vergötterten Mutter hat er mindestens zwei Frauen ermordet und zahlreiche Leichen auf Friedhöfen ausgegraben und verstümmelt. Gein gesteht zwei Morde, die er allerdings nicht als Verbrechen anzusehen scheint: Als schuldunfähig eingestuft überweist man ihn in die Psychiatrie, wo er bis zu seinem Tod 1984 bleibt. Horrorfilmregisseur Jörg Buttgereit erzählt in „Kannibale und Liebe“ die Geschichte des Anti-Helden Ed Gein und untersucht seinen bemerkenswerten „Nachruhm“ im Kino und in der Rockmusik – zwischen Grabhügel, Mutterzimmer und Nervenheilanstalt.
Sie haben nun die Qual der Wahl. Nicht wohin, sondern wohin zuerst!
„Der Prozess“ I Sa 13.10. 19.30 Uhr I Kammerspiele Bochum I 0234 33 33 55 55
„Hiob“ I So 21.10.19 Uhr IGrillo-Theater EssenI 0201 8 12 22 00
„Kannibale und Liebe“ I So 28.10. 18 Uhr I Theater Dortmund Studio I 0231 5 02 72 22
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