Eines der besten Alben des vergangenen Jahres kam von der Italienerin Marta Del Grandi. „Selva“ heißt es, ein altertümliches und mystisch aufgeladenes Wort für Wald. Kunstvoller Pop ist das, sehr variantenreich: mal experimentell schräg, mal songorientiert im klassischen Bandsetting Gitarre, Bass, Drums. Die verbindenden Elemente sind Del Grandis großartige, an Klassik und Jazz geschulte Stimme und die sphärische, verträumte Atmosphäre der Stücke.
Die Sinne weiten sich
Dabei nimmt sich Del Grandi nicht zu ernst, in der Musik und ihrer Art ist immer auch eine gewisse Verspieltheit zu spüren. Erfrischend ist das, sie im FZW-Club in Dortmund so anrührend, unprätentiös meisterhaft und witzig zugleich zu erleben. Dabei hätte das Konzert um ein Haar nicht stattgefunden: es ist der Tag des dichten Schneefalls, und Del Grandi und ihre Band haben am Vorabend in München gespielt, die Fahrt nach Dortmund dauerte zehn Stunden. Kurz vor ihrem Auftritt sind sie erst eingetroffen – schneller Soundcheck, und dann los.
Da dies eine Indie-Night mit zwei teilnehmenden Acts ist, spielt Del Grandi ein kurzes Set von ca. 45 Minuten, das sich auf das „Selva“-Album konzentriert. Begleitet wird die Sängerin und Gitarristin von Gabriele Segantini am Schlagzeug und Iris Soledad Galibariggi am Baritonsaxophon – ein Bass war wohl zu groß für Reisen mit kleinem Budget. Das ganze funktioniert aber ausgesprochen gut: Galibariggi lockert mit ihrem Spiel die Songstrukturen auf, und Segantini präsentiert die ganze Bandbreite des sensiblen Schlagzeugspiels. Hochmelodische, zarte Lieder wie „Eye of the Day“, „Marble Season“ oder „Two Halves“ rahmen den avantgardistischen Mittelteil ein, mit u.a. „Snapdragon“ als Free Jazz-Spielwiese und „Selva“ als Lautmalerei mit Loop-Effekten. Dass es Del Grandi zwischendurch nicht immer gut ging, deutet sie in der Anmoderation zu „Stay“ an, ihrem persönlichen Befreiungslied.
Auf der Couch bleiben
Marta Del Grandi im verschneiten FZW-Zauberwald: die Sinne weiten sich, wir hören anderes und genauer, erleben elastische Musik, die mit Grenzen spielt und doch völlig zugänglich ist. Welch ein Glück für alle Tapferen, die trotz Schnee gekommen sind. Sie hätte das nicht gemacht, lacht Del Grandi, wäre mit Netflix auf der Couch geblieben. Keine Chance, Marta, bei deinem nächsten, hoffentlich längeren Besuch sind wir alle doppelt und dreifach wieder da!
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Kameraden und Familie
Chuck Ragan & The Camaraderie in Dortmund – Musik 12/23
„Die Leute auf ihr Unglück aufmerksam machen“
Die Kölner Punkrock-Band Detlef über Mitmenschen und eine einzigartige Stimmfarbe – Interview 12/18
Verschrobener Pop
Ins Paradies mit Tristan Brusch – Popkultur in NRW 10/18
Liebe und Anarchie
Moop Mama am 2.11. im Dortmunder FZW – Musik 11/16
Wutabbau und Rap-Entdeckungen
Konzertvorschau mit The Bronx, Ceschi Ramos und Arcee
Schwere Entscheidungen, schweres Leben für kleine Bühnen
Konzert-Vorschau: Massive Attack, Egotronic und das Konzert-Aus fürs Eden
Blues in Dortmund, Global Beats in Bochum
Konzert-Vorschau fürs Ruhrgebiet mit Dan Patlansky und Imam Baildi
Urbane Endzeit-Ekstase oder Folk aus Färöer
Konzert-Vorschau: Peine Perdue, Xarah Dion & der Liveurope Day
Predigten und Penisse
Größter Ruhrpott-Slam am 3.2. im FZW – Poetry 02/16
Mäntel des Schweigens
Interpol und Abay am 17.8. im FZW Dortmund – Musik 08/15
Der Sound von Istanbul
Gaye Su Akyol im Landschaftspark Duisburg-Nord – Musik 08/25
Vom Tanzen träumen
Die NRW-Tour der Jazzpianisten Chris Hopkins und Ulf Johansson Werre – Musik 08/25
Das Netz der Menschenliebe
Joan As Police Woman auf dem Haldern Pop Festival – Musik 07/25
Nicht nur für Orgelfans
16. Wuppertaler Musiksommer in der Historischen Stadthalle – Musik 07/25
Klänge der Gegenwart
Konzertreihe mex im Künstlerhaus Dortmund – Musik 07/25
„Jüdische Musik in der Region verankern“
Die Leiterin der Alten Synagoge Essen, Diana Matut, zum Festival jüdischer Musik Tikwah – Interview 07/25
Impossible Dortmund
Wilco im Dortmunder JunkYard – Musik 06/25
Gegen die Stille
Das 54. Moers-Festival – Musik 06/25
Magische Momente
Cat Power im Düsseldorfer Capitol Theater – Musik 06/25
Eine große Ausnahme
Der Pianist Alexandre Kantorow in Wuppertal – Musik 06/25
Lieber ins Meer springen
Slow Leaves im Düsseldorfer Zakk – Musik 05/25
Landlocked Dortmund
Richard Thompson im Dortmunder Piano – Musik 05/25
Entgegen der Erwartung
4. stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen – Festival 04/25
Danke für alles!
Oysterband in der Bochumer Zeche – Musik 03/25
Tanzen, Schwitzen, Lächeln
Ina Forsman im Dortmunder Musiktheater Piano – Musik 03/25