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Detlef
Foto: Presse

„Die Leute auf ihr Unglück aufmerksam machen“

29. November 2018

Die Kölner Punkrock-Band Detlef über Mitmenschen und eine einzigartige Stimmfarbe – Interview 12/18

trailer: Alle eure Lieder sind im Grunde Kurzgeschichten. Storytelling auf engstem Raum. Ein Vers wie „Thomas und Nicole, ich weiß nicht, was das soll!“ bildet schon einen Plot.
Frank: Menschen unserer Generation machen sich oft gegenseitig unglücklich, ohne es wahrhaben zu wollen. Die Story spielt in meiner alten Heimatstadt Neheim-Hüsten, findet aber nicht bloß in der Provinz des Hochsauerlands statt. Auch hier in Köln vermählen sich Leute aus Zwang.

Woher denn Zwang? Wir leben doch nicht mehr in der Epoche von Fontane-Romanen!
Frank: Die Menschen suchen das lebenslängliche Glück weiter, auch wenn sie schon mal daran gescheitert sind. In der Folge gehen sie beschissene Kompromisse ein.

Und ihr lebt alle kompromisslos?
Frank: Weitestgehend ja.
Achim: Wir geben uns Mühe. Dave?
Dave: Weil die Leute ihr Unglück nicht erkennen, muss Frank sie darauf aufmerksam machen.

Ob Thomas und Nicole das Album von Detlef hören, ist mehr als fraglich.
Frank: Ich glaube, Thomas und Nicole hören „alles querbeet“. Das Beste der Neunziger und von heute.
Achim: Von ABBA bis Zappa.

Das geht aber nur durch das Radio. Die Teenager hören Spotify und somit das, was ihnen der Algorithmus als immer spitz zulaufenden Geschmackstrichter zuschreibt.
Frank: Das ist falsch.

Nein, das ist so.
Achim: Frank meint damit, das sollte nicht so sein.

Ach so, nicht meine Analyse ist falsch, sondern die Lage nicht wünschenswert.
Frank: Genau. Sie hören die falsche Musik, die Kinder. Und unsere Generationsgenossen laufen den alten Zeiten hinterher.

Ihr hingegen seid im privaten Hörverhalten sehr progressiv?
Achim: Nein!
Frank: Das hörst du doch wohl der Platte an, wie unprogressiv wir sind, oder nicht?

Ja, eben drum! Beschwert euch, dass die Mitmenschen stagnieren, spielt aber selber melodischen Rotzpunk, als wären NOFX noch junge Männer.
Dave: Auf die können wir uns einigen, auch wenn wir ansonsten aus verschiedenen Richtungen kommen.

Noch ein Beispiel für meine Storytelling-These: In dem Lied über Dagmar gibt es eine Figur, ein Ziel, ein Scheitern, eine Schlusspointe. Dagmar hat alles, was sie braucht, „um gut versorgt und zufrieden zu sein“, ist aber so gelangweilt, dass sie am Ende im Bett des Ich-Erzählers landet.
Achim: Beruflich habe ich eine Menge Frauen dieser Art kennengelernt. Frauen, die sich für ihr ganzes Leben einen Plan zurechtgelegt haben und sich dann ein Männeken suchten, das diesen Plan mitmachen darf. Der wird natürlich im Nachhinein zum geilen Hecht erklärt.

Er ist aber in Wahrheit ein lahmer Lappen, so dass Dagmar sich…
Achim: … auf einen Typen einlässt, den sie im echten Leben keine zwei Tage ertragen könnte.

Wo lernt man denn beruflich diese Dagmars kennen?
Achim: Ich arbeite seit vielen Jahren in einer Kindertagesstätte.

Ach so. Mütter.
Frank: Der Mann kennt sich aus!  

Was machen die anderen beiden beruflich?
Frank: Ich bin Rechtsanwalt, wie es in den Texten durchscheint.
Dave: Ich bin Redakteur bei einer Wanderpublikation und einem hervorragenden Magazin, das sich mit Flüssen beschäftigt. Es trägt den Titel „Flüsse“.

Das ist doch alles Wahnsinn – ein Magazin, das sich ausschließlich mit Flüssen beschäftigt, hat genug Kundschaft, aber Spex und Intro gehen kaputt.
Dave: Das liegt darin, dass Flüsse etwas sehr Existentielles sind. Schon in der Antike waren sie ein Sinnbild für das Werden und Vergehen. Um sie herum lassen sich eine Menge Geschichten erzählen.

Auf dem alten Nokia-Handy gab es als Wallpaper einen Baum auf einer kargen Wüstenebene. Untersuchungen belegen, dass dieses Motiv uns als Menschen existentiell beruhigt, da wir früher als Beute für wilde Tiere auf solche Bäume geflüchtet sind.
Achim: In einem Comic von „Tim und Struppi“ fahren die Detektive Schulze und Schultze auf den einzigen Baum in der Wüste zu, können sich nicht einigen, ob sie links oder rechts vorbeilenken sollen und  ballern frontal dagegen.

Obwohl mir ansonsten selten die Adjektive fehlen, suche ich verzweifelt nach einem Wort für diesen unvergleichlichen Gesangsstil von Frank.
Frank: Der ist scheiße, was?

Ihr singt zwar alle, aber Franks Klang ist unfassbar dreist. Spöttisch, ohne zynisch zu sein. Ihm scheint alles egal zu sein, ohne laienhaft zu wirken.
Frank: Auf einem der letzten Konzerte von Supernichts kam ein Fan mit Platten unter dem Arm und Tränen in den Augen auf uns zu und meinte: „Ihr könnt euch doch nicht auflösen! Ihr seid die Einzigen, die so eine Musik machen – Alltagspunk.“ Das traf es ganz gut.

Inhaltlich ja, aber es ist immer noch nicht das Wort für die Stimmfarbe und Intonation. Als stündest du schimpfend in der Tür einer Kneipe. Klug dabei, aber zugleich wie ein Schiffsschaukelbremser.
Achim: Und gleichzeitig einen Pissfleck auf der Hose. Dann bist du ganz nah dran.

Die Bewegung des „urbanen Asi-Pop“ im Presseschreiben ist aber reine Rhetorik. Die gab es nie.
Frank: Richtig. Mit Supernichts hat es uns genervt, dass es für jede Stilfarbe eine Schublade geben muss und wir uns immer die Frage anzuhören hatten, ob das noch Punk sei. Daher haben wir diesen Begriff erfunden. Schick und scheiße zugleich. Einerseits geil, andererseits peinlich und doof.

Von einem YouTuber habe ich kürzlich gelernt, dass es sogar Easycore gegeben hat.
Achim: Was für’n Ding?

Der ganz softe Pop-Punk der frühen Nullerjahre. New Found Glory zum Beispiel.
Achim: Kenne ich nicht.
Dave: Unsere Redaktion befindet sich direkt hier in Köln hinterm Palladium. Morgens sitzen dort die Mädchen in Wärmedecken, um abends beim Konzert die ersten in der Reihe zu sein. Ihre Mütter versorgen sie mit Thermoskannen und Brötchen. Ein junger Mann verkauft dort drei Abende hintereinander die Halle aus, weil er auf YouTube bekannt geworden ist. Mit Autotune-Gesang.

Da kommt mir noch eine Idee, wie man Franks charismatisches Gebölke bezeichnen könnte: „Grimmig, aber zugleich erstaunt.“
Frank: (lacht) Auf dieser Platte kommt hinzu, dass meine Stimme total kaputt ist, weil wir während der Aufnahmen in jeder freien Minute extrem gesoffen haben.

Eingespielt habt ihr die 19 Songs in nur drei Tagen, und alles sitzt. Punk hin oder her: Ihr wisst doch genau, was ihr da macht. Ihr seid keine Virtuosen, aber Profis. Wie ein paar alteingesessene Innenverteidiger von Fortuna Köln.
Achim: Das hast du schön gesagt.
Frank: Hat er, aber auch Innenverteidiger können hier und da einen Glanzpunkt setzen.

CD Detlef: „Kaltakquise“ | Konzerte: 30.11. Sonic Ballroom Köln | 13.12. FZW Dortmund | 28.-29.12. Turbinenhalle Oberhausen | 25.1. AK47 Düsseldorf

Über Detlef
Als Trio mit dem Namen Detlef nennen sich die drei Routiniers des deutschsprachigen Punk-Untergrunds konsequent Detlef Löber, Detlef Meurer und Detlef Damm. Zuvor spielten sie in den Bands Supernichts und Incoming Leergut. Kürzlich erschien ihr Debüt-Album „Kaltakquise“.

Interview: Oliver Uschmann

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