 
		Anfang des Jahres war Klaus Theweleit wieder in aller Munde. Anlass war die Neuauflage von Theweleits Buch „Männerphantasien“, das erstmals 1977 erschienen war, aber bis heute mit der These an Gültigkeit nicht verloren hat, dass Faschismus und Frauenhass das Ergebnis eines männlichen Körperzustands sind. Im Gegenteil: Die Offenlegung des Zusammenhangs von männlichem Körperkult, Faschismus und Frauenhass ist leider so aktuell wie lange nicht. Das hat man sich wohl auch beim Ventil Verlag gedacht, als man sich daran machte, „Sex Revolts – Gender, Rock und Rebellion“ von Joy Press und Simon Reynolds aus dem Jahr 1995 erstmals ins Deutsche zu übersetzen. Denn „Sex Revolts“ beschäftigt sich zum einen mit der Misogynie im Rock ‚n‘ Roll und bezieht sich andererseits dabei mehrfach explizit auf Theweleits „Männerphantasien“.
Bevor sie loslegen, stellen die AutorInnen klar, dass ihre musikalischen Helden nach wie vor ihre musikalischen Helden sind – die Uneigentlichkeit, das Spiel mit der Pose, aber vor allem die Komplexität der Popkultur machen es unmöglich, Künstler aufgrund einer einzigen Perspektive zu be- oder gar zu verurteilen. Was dann im ersten Teil des Buchs folgt, ist eine radikale Offenlegung von Machotum, Gewalt und Misogynie beim Rock, im Metal oder im Rap. Dem Rebellen wird im zweiten Teil das Muttersöhnchen entgegengestellt, das im Gegensatz nicht klar, wach, aggressiv, sondern weich, schlaff und unscharf ist – zu finden in der Psychedelic, dem Krautrock, dem Shoegaze und anderen soften Genres. Im dritten Teil geht es dann endlich um die Frauen, die sich diesem sehr eingeschränkten Kanon entweder überaffirmativ entgegenstellen, im Kontrast dazu ihre Weiblichkeit betonen oder einen ganz eigenen Weg suchen. Hier geht es um die unterschiedlichsten Rollenentwürfe bei Nico, Yoko Ono, Joni Mitchell, Patti Smith, Kate Bush, Joan Jett, Lydia Lunch, Siouxsie Sioux und anderen Post-Punk-Protagonistinnen, Kim Gordon, Björk, PJ Harvey, den Riot Grrrls, Janet Jackson und natürlich Madonna (Debbie Harry hingegen fehlt). Man merkt dem Buch anhand der Auswahl der KünstlerInnen vor allem aus den 90er Jahren an, dass es zu dieser Zeit geschrieben wurde. Einige sind mit dem Abstand von 25 Jahren überrepräsentiert, andere fehlen. Das Buch hat allerdings ein kleines Update erfahren, so dass ein paar Themen in neuen Kapiteln hinzugefügt wurden, zum Beispiel Texte zu Destiny‘s Child, Missy Elliott, Le Tigre, der Massenvermarktung von Popfeminismus und Clubkultur. Außerdem gibt es nun ein Kapitel zum inzwischen verstorbenen Prince, der seinerzeit als Symbol und in seiner kaum greifbaren Sonderrolle den AutorInnen wohl durchgegangen war, aber in ein solches Buch natürlich unbedingt hineingehört.
Komplett Prince gewidmet ist „The Beautiful Ones“ (Heyne), das ebenfalls gerade auf Deutsch erschienen ist. Die Biografie ist so unorthodox geworden, wie man sich das für eine Prince-Biografie wünscht. Das fängt mit der Entstehungsgeschichte an und endet damit, dass es weder eine Bio- noch eine Autobiografie ist – eher beides in einem.
Von der Entstehung erzählt uns in einer Art 50-seitigem Vorwort der junge Dan Piepenbring, der bis zuletzt gar nicht genau verstehen kann, warum ihn der Funk-Gott auserkoren hat, ihn beim Verfassen seiner Autobiografie zu unterstützen. Piepenbring erzählt äußerst schön geschrieben und zudem sehr anrührend von seinem ersten Kontakt mit dem Exzentriker, der ihn häufig mitten in der Nacht mit neuen Ideen für das Buch anruft, dass ein ganz großer Wurf werden soll – eine Autobiografie, wie es sie noch nie gab – über die Erarbeitung des Konzepts während der nächsten Monate bis zum dem plötzlichen, unerwarteten Tod des Multiinstrumentalisten, der dieses Buch zu dem Fragment verdammt, was es nun ist. Doch bei aller Tragik ist das Buch, wie es nun vorliegt, kein gescheitertes Projekt, sondern Prince‘ ‚Unvollendete‘! Die klassische Autobiografie (als getippter Text, in dem I, also Ich, immer als Augensymbol abgedruckt ist, sowie als Faksimile mit eben diesem Auge in gezeichneter Form) umfasst nur Prince‘ Leben von der Geburt bis nicht einmal zum ersten Album, also bis 1976, gibt aber einen tiefen Einblick in das Denken und die Wahrnehmung des Musikers, der schon früh all sein Schaffen synästhetisch als Gesamtkunstwerk denkt. Die folgenden kommentierten Kapitel mit Bildmaterial reichen bis 1986, also seinem Album „Parade“ mit dem Megahit „Kiss“. Die Fotos werden so reichhaltig mit O-Tönen von Prince und weiteren Hintergrundinfos begleitet, dass auch diese Kapitel Teil der Erzählung sind, die von einem der maßlosesten und intensivsten Musiker des 20. Jahrhunderts handelt.
Prince, Dan Piepenbring: The Beautiful Ones – Die unvollendete Autobiografie.
Heyne. Gebundene, deutsche Erstausgabe, 304 Seiten, mit zahlreichen Fotos und Abbildungen, 32 Euro
Joy Press, Simon Reynolds: Sex Revolts – Gender, Rock und Rebellion.
Ventil Verlag. Klappenbroschur, 472 Seiten, 30 Euro
Klaus Theweleit: Männerphantasien.
Matthes & Seitz Berlin, Gebundene Neuausgabe. 1278 Seiten, 42 Euro
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