Eine echte Ordnung der Welt hat es wohl nie gegeben. Seit Anbeginn hortet die Menschheit Wissen, in Bildern und Schriftzeichen, universal, in verschiedenen Zeitzonen und immer noch auf gedachten unterschiedlichen Zeitsträngen. Die irische Künstlerin Mariechen Danz hinterfragt dieses Wissen und auch die Möglichkeiten seines Transports in alle Richtungen: „How to know, how let go?“ In ihrer Ruhrfestspiele-Ausstellung „clouded in veins“ zeigt sie auf drei Ebenen mit Hilfe von installierten Skulpturen eine fast retrospektive Übersicht über ihre Gedanken-Konstrukte, die die Subjektivität des menschlichen Verstandes behaupten und in denen die Künstlerin versucht, neue Wege der Verständigung über Gegenstände, Vermessungen der Welt und der darauf lebenden Körper zu generieren. Denn was wir wirklich wissen, ist gar nicht so einfach zu lokalisieren.
Ein Brandenburger Granitstein (2013) führt in den ersten Raum des ehemaligen Bunkers. Eine Hand ist dort eingemeißelt. Hinweis? Abdruck? Zeichen der Anwesenheit? Wer mag es sagen. Dann erschließt sich vor einem eine ziegelrote Fläche, in deren Mitte sich ein alter Stahl-Oktant (2019) phallisch in die Blickachse drängt. Die Ziegelsteine (Body Bricks 2019/21, 2.000 einzeln geprägte Lehmziegel, gebrannt nach Vorbildern der historischen Schiffswerft am Goldenen Horn, Istanbul) füllen den Raum und auch seine Pfeiler. Zu sehen sind darauf Organe, Füße und Knochen.
Am Rand liegt die Skulptur „Womb Tomb (mimetic meteorologigal, 2016/17)“, ein thermoaktiver menschlicher Körper wie aufgebahrt auf Metall. Durch eine Wärmequelle verändern sich in ihm thermochrome farbige Pigmente. Wie bei Rembrandts Anatomie des Dr. Tulp sind Organe wie Herz oder Darm offengelegt, der Körper scheint Teil einer archäologischen Ausgrabung zu sein, die den Zeitpunkt der Untersuchung datieren will, was die Strukturen unter der Oberfläche durchkreuzen, geologische Landkarten unter der Haut behaupten Wahrnehmungsprobleme. Die zeigen sich auch in den beiden oberen Stockwerken, wo erst Organe aus verschiedenen Werkstoffen aus den Wänden und Pfeilern wachsen und fossile Abrücke in Platten und stoffliche Resthüllen zwischen Acryl gepresst wurden. Eine Treppe höher das abgefahrene modular mapping system (2017) und die Videoperformances der ungewöhnlichen Künstlerin. Nicht verpassen!
Mariechen Danz – Clouded in Veins | bis 29.8. | Kunsthalle Recklinghausen | 02361 50 19 35
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Im Herzen des Bunkers
Marianne Berenhaut in Recklinghausen – Ruhrkunst 09/23
„Reaktionen auf Architekturen der Unterdrückung“
Museumsdirektor Nico Anklam über Ângela Ferreiras Kunst in Recklinghausen – Sammlung 06/23
Aus dem Eis
Video-Installationen aus Spitzbergen in Recklinghausen – Ruhrkunst 03/23
„Ich bin Freund der reduzierteren Ausstellungen“
Nico Anklam über „Anders als es scheint“ in Recklinghausen – Sammlung 12/22
Wenn das Bunte unheimlich wird
Flo’s Retrospektive in Recklinghausen – Kunstwandel 06/22
„Sichtbarkeiten für Künstlerinnen schaffen“
Direktor Nico Anklam über Flo Kasearus Retrospektive in Recklinghausen – Sammlung 04/22
Die Fläche aus Papier
Der Kunstpreis junger westen in Recklinghausen
Das Zittern der Punkte
Kuno Gonschior in Recklinghausen – Kunstwandel 10/20
„Farbe zu sehen, sollte zu einer Erfahrung werden“
Kunsthallen-Direktor Dr. Hans-Jürgen Schwalm über Kuno Gonschior – Sammlung 09/20
Verlauf der Linie
Monika Brandmeier in Recklinghausen – Ruhrkunst 11/19
Patina der Politik
Penny Hes Yassour in Recklinghausen – Ruhrkunst 06/19
„Ihre Installationen sind unterschwellig sehr politisch“
Museumsdirektor Dr. Hans-Jürgen Schwalm zur Ruhrfestspiele-Ausstellung – Sammlung 05/19
Intensive Blicke
Fotografin Annelise Kretschmer im MKK Dortmund – Ruhrkunst 03/24
Kultige Cover
Designagentur Hipgnosis in Oberhausen – Ruhrkunst 03/24
Keine Illusionen
Wolf D. Harhammer im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 03/24
„KI erlaubt uns einen Einblick in ein kollektives Unbewusstes“
Kuratorin Inke Arns über Niklas Goldbachs „The Paradise Machine“ im Dortmunder HMKV – Sammlung 03/24
Unter unseren Füßen
Archäologie der Moderne im Ruhr Museum – Ruhrkunst 02/24
Auf und mit der Oberfläche
Wilhelm Wessel im Emil Schumacher Museum in Hagen – kunst & gut 02/24
Diplomatie kreativ
Ingo Günther im Kunstverein Ruhr in Essen – Ruhrkunst 02/24
„Wir sind stolz darauf, diese Werke im Bestand zu haben“
Kuratorin Nadine Engel über die Ausstellung zu Willi Baumeister im Essener Museum Folkwang – Sammlung 02/24
„Die Berührung impliziert eine Verbindung zum Objekt“
Generaldirektor Felix Krämer kuratiert „Tony Cragg: Please Touch!“ im Kunstpalast Düsseldorf – Sammlung 02/24
Ausdruck der Zeit
Expressionismus-Sammlung im Märkischen Museum Witten – Ruhrkunst 01/24
Visionen von Gemeinschaft
„Wir ist Zukunft“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/24
Kunstvolle Stahlarbeiten
„work comes out of work“ in Bochum – Kunstwandel 01/24
Räume beleben
„Our house is a very very very fine house“ im Kunstmuseum Bochum – kunst & gut 01/24