Eigentlich ist es ein Kompliment. Entweder der Betrachter steht mit leuchtenden Augen vor den Bildern, die André Butzer derzeit in Gladbeck zeigt, und kann sich an ihnen nicht sattsehen oder er wendet sich alsbald enttäuscht ab: Sollte das alles gewesen sein?
André Butzers Malerei polarisiert. Das war schon bei den Gemälden der Fall, mit denen er in den 2000er Jahren im Kunstgeschehen für Furore sorgte und die er als „Science-Fiction-Expressionismus“ bezeichnet hat: Zu sehen waren sich überlagernde bunte Figurationen an der Grenze zur Abstraktion, voller Anspielungen an die Kunstgeschichte und nur vermeintlich einem Comicstil zuzuordnen. Schon diese Bilder, die in den wichtigen Institutionen hierzulande und in Galerien auf der ganzen Welt gezeigt werden, sind von André Butzer bis ins Detail durchdacht und theoretisch unterfüttert.
Wer lediglich diese Werke des 1973 in Stuttgart geborenen und in Rangsdorf bei Berlin lebenden Malers kennt, könnte – zunächst – glauben, dass die vier großen Bilder in der Halle der Neuen Galerie Gladbeck von einem anderen Maler stammen. Jede Gegenständlichkeit ist ausgelöscht. Butzers Bilder verhalten sich seit 2010 zwischen fundamentaler Malerei und Konstruktivismus: alles Krücken der Beschreibung! Statt Farbigkeit gibt es Schwarz und Weiß, flächig, ohne Faktur aufgetragen in Feldern und Stegen, welche in einem rechtwinklig orientierten Verhältnis zueinander im Bild sitzen. Das Schwarz bildet den umgebenden Grund. Aber wie verhält sich das alles zu den früheren Bildern? „Es ist eine Steigerung“, sagt Butzer. Zu seiner Analyse, in der er die terminologische Einengung auf Schwarz und Weiß ablehnt, vielmehr den Dualismus als solchen anspricht und noch auf den rötlichen Schimmer hinweist, der aus dem Bild strahlt, gehört die Feststellung, dass alles Maß menschliche Konstruktion sei. Entsprechend enthalten seine Darstellungen gerade keine rechten Winkel und verfügen über „wolkige“ Stellen, die erneut auf das Handschriftliche – und damit das jeweils Einzigartige – weisen. Zudem arbeitet André Butzer in ganz verschiedenen Hoch- und Querformaten. Die feine Nuancierung der ansteigenden Wölbung der horizontalen weißen Streifen, das Sich-Erheben des „Weiß“ und das von Oben-Lasten des „Schwarz“ gehören zum Inventar dieser Malereien. Man muss es sehen, hier, in Gladbeck, vorm Bild selbst.
In Anlehnung an den von Butzer schon früher geprägten Begriff „Nasaheim“ werden diese neueren unbetitelten Bilder mitunter als „N“-Bilder bezeichnet. Im Bild findet die Zusammenführung von Nahem und „Heimeligem“ und dem fernen Unbekannten statt. Die hellen Partien strahlen hell. Aber öffnet sich nicht das Dunkel für sie? Kleine verbindende Stege sind erst allmählich auszumachen. Und so ähnlich die Bilder wirken, so verschieden sind sie doch. Butzers vermeintlicher Minimalismus, der so viel von Individualität und Spiritualität und den Möglichkeiten der Malerei mitteilt, ist in seinem Reichtum und seiner Differenziertheit beeindruckend.
Eine weitere Sensation hält das Lesezimmer bereit. Drei kleine Hochformate, vorm Malen lapidar mit dem Skalpell aus einer größeren Leinwand geschnitten, zeigen jeweils einen breiten weißen Streifen im Schwarz. Aber jedes Format ist anders, jede Bahn sitzt anders. Hier nun wirken die Streifen zudem wie Resonanzen auf das farbige Glas, welches durch die Fensterfront lange verzerrte Streifen auf den Boden wirft. André Butzer erinnert an die Glasfenster von Henri Matisse in Vence, referiert über die Butzenscheiben in seiner schwäbischen Heimat, verweist auf die Traditionen der Literatur und Philosophie der Romantik – und auch ohne dieses Wissen halten sich die beiden Ausstellungsräume in schönstem, selbstverständlichem Gleichgewicht. Beglückend!
André Butzer | bis 1.7. | Neue Galerie Gladbeck | 02043 319 83 71
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