Der Ort – die ehemalige Stadtbücherei – ist der Star. Beim Pressegespräch zu ihrer Ausstellung in der Neuen Galerie Gladbeck berichtete Candida Höfer von ihrem ersten Besuch in den beiden Ausstellungsräumen und der „wunderbaren Aura“ der Halle, die an eine Kapelle erinnert. Begeistert zeigte sie sich zudem vom seitlichen Saal mit der Fensterfront aus farbigen Glasscheiben. Als Ergebnis ihrer Auseinandersetzung mit dem Raum hat sie eine Fotografie der Fensterseite aufgenommen, die nun genau dort, vis-à-vis, zu sehen ist. Candida Höfer interpretiert die Architektur, sie macht das natürliche Licht im Raum sichtbar und bezieht den betrachtenden Menschen ein, auch wenn er, wie stets bei ihrer Fotografie, selbst nicht anwesend ist. Sie zeigt die Decke und vertieft so das Zusammenspiel von Innen und Außen. Das zweite, ebenfalls ausgestellte neue Bild fokussiert die Neue Galerie von draußen, am Hintereingang, als Ausschnitt. Das Gebäude selbst wirkt hier nüchtern, karg, pragmatisch.
Werkgruppe zu Bibliotheken
Architektonische Räume und ihr Verhältnis zum Menschen bilden das zentrale Thema von Candida Höfer, mit dem sie international bekannt und zur Biennale Venedig und zur documenta eingeladen wurde. Sie wurde 1944 in Eberswalde geboren und hat an der Kunstakademie Düsseldorf in der Fotoklasse von Bernd Becher studiert – mit ihren Werken hat sie maßgeblich zur Formulierung einer „Düsseldorfer Fotografenschule“ beigetragen. Vielleicht die wichtigste ihrer Werkgruppen widmet sich Bibliotheken überall auf der Welt. Sechs derartige großformatige Aufnahmen hängen in der Halle der Neuen Galerie Gladbeck, entstanden zwischen 2005 und 2010 in Bibliotheken in Rio de Janeiro, Paris oder Sevilla. Menschenleer, achsensymmetrisch von erhöhtem Standpunkt mit dem natürlichen Licht erfasst, tastet Candida Höfer die Architektur und zugleich die Ordnungssysteme der Bibliotheken mit ihren Regalen, Treppen und Galerien ab. Sie befragt das Verhältnis von Raum und Funktionalität zum Menschen in diesem Geflecht aus Organisation und Pracht. Angesprochen ist die jeweilige Geschichte der Gebäude und zugleich die Bedeutung der Bücher, die hier bewahrt sind und gewissermaßen das Wissen der Menschheit symbolisieren.
Jeder entdeckt etwas anderes
Diese großen Formate hängen knapp über dem Boden, so dass der Betrachter in der Annäherung zunehmend Teil des Geschehens wird und in diesem seinen Standpunkt sucht. Und dann sieht er die Höhe dieser Räume, ihre Weite, das serielle Nacheinander der Arbeitstische, die eine technische Effizienz zum Ausdruck bringen, die mitunter diametral zur Opulenz der Architektur steht. Der Blick folgt den Rastern der Regale, verliert sich in den so scharf aufgenommenen Buchreihen und befragt, wie „klein“ der Mensch in dieser Übermacht des Wissens daherkommt. Die Augen wandern durch die Räume und ihre Schluchten, wobei die Aufnahme auch abstrakt, als ausgewogene Struktur in verhaltener Farbigkeit, begriffen werden kann. Jeder sieht, entdeckt etwas anderes, das Schauen kommt nie an ein Ende: Auch das macht Candida Höfers fotografische Bilder so faszinierend.
Candida Höfer – Libraries: The Return | bis 30.10. | Neue Galerie Gladbeck | 02043 319 83 71
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