Auch wenn es sich bei den Figuren der Gemälde von Helena Parada Kim um bestimmte, ihr bekannte Personen handelt: Eigentlich geht es in dieser Malerei gar nicht um Individualität, sondern um kollektive Erfahrung, überlieferte Traditionen und deren Zusammentreffen mit der Gegenwart. Und zwar: in der Gegenwart. Als prägnantes Beispiel dafür hängt in ihrer Ausstellung in der Neuen Galerie Gladbeck das große Gemälde „The sun and the moon“ (2018). Im Vordergrund schiebt eine Straßenverkäuferin einen Rollwagen, auf dem Plastiksäcke mit Popcorn angehäuft sind, das Gesicht bleibt abgewandt. Vor allem der Fotorealismus der knallroten Gummischuhe und der glitzernden Plastizität der Säcke betont die Faktizität dieser Szene, ja, er vermittelt eine ausgesprochene Gegenwärtigkeit und Brisanz. Zugleich prallt der Blick auf den Hintergrund, bei dem es sich um einen aufgeklappten und dadurch flächigen Wandschirm handelt. Das Geschehen spielt in Südostasien im Spannungsfeld von üppiger Landschaft und prosperierender Metropole mit der Schere von reich und arm und der pittoresken Fülle an Kultur. Natürlich erinnert das weiß sprudelnde Wasser im Flächenrapport an die Wellen in Hokusais Holzschnitten. Zugleich zitiert der Bildtitel ein Hauptwerk der traditionellen koreanischen Malerei.
Helena Parada Kim wurde 1982 in Köln geboren; der eine Teil ihrer Familie stammt aus Spanien, der andere aus Korea. Sie hat an der Düsseldorfer Kunstakademie in der Malklasse von Peter Doig studiert. Heute lebt sie in Berlin. Bekannt wurde sie mit ihren frontalen, plastisch begriffenen Porträts im Hanbok, dem traditionellen koreanischen Gewand. Wer diese Personen seien, sei aber eigentlich nicht wichtig, betont die Künstlerin beim Pressegespräch in der Neuen Galerie in Gladbeck. Die Figur steht einerseits ortlos im Bildformat, andererseits liegt der Saum des Gewandes doch im malerisch begriffenen, leeren Umraum auf. Das Gesicht bleibt mit den Mitteln der Malerei unscharf oder wirkt verwischt. Oder es ist, mitsamt der Hände, ausgespart. Verschwinden und Erscheinen ereignen sich gleichzeitig. Das Bildnis wirkt als Erinnerung, die sich auf der Netzhaut eingebrannt hat. Oder ist es nur eine Vorstellung, die man sich aus Erzählungen erschafft? Es sind Gemälde, die noch die Vergangenheit in sich tragen, hoch gehalten als höchstes Gut: Dazu sind sie in die vornehmsten Töne von Gold, Silber, Elfenbein oder Türkis gefasst.
Die Ausstellung in der Neuen Galerie beinhaltet aber auch ein Bild mit einem Torero, der in die Bildtiefe hin ausgestreckt ist und eher schlafend als tot wirkt: Es ist ein Zitat auf das berühmte Gemälde von Manet. Helena Parada Kim modelliert den Körper in der Beleuchtung aus und leitet daraus die Auflage der Figur in der Horizontalen ab. Bei ihren aktuellen Malereien von Blüten und Blattwerk in Teichen, die das Verhältnis von Natur und Künstlichkeit weiter verhandeln, kippt die Fläche hingegen ganz in die Senkrechte. Die Erinnerung, die noch den Geruch der Natur und das Rauschen der Blätter trägt, suggeriert hier Schwerelosigkeit und bewirkt unmittelbare Teilhabe. Malerisch souverän, inhaltlich aufregend!
Helena Parada Kim – Wasser, Portraits, Schatten | bis 22.3. | Neue Galerie Gladbeck | 02043 319 83 71
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Natur in Unruhe
Miriam Vlaming in der Neuen Galerie Gladbeck
Spuren und Ahnungen
Stefan Müller und Viola Relle im Dialog in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 04/24
Erste Berührungen
Die Malerei von Vivian Greven in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 03/23
Erinnerungen, die sich formen
Melike Kara in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 12/22
Die Ironie der sichtbaren Dinge
Justine Otto in der Neuen Galerie Gladbeck
Malerei und Plastik vereint
Justine Otto in der Galerie Gladbeck
Zwischen Welten
Simone Lucas in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 07/21
Menschen in Räumen
Tim Eitel in der Neuen Galerie Gladbeck – Kunst in NRW 04/21
Die Räume der Bilder
Candida Höfer in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 10/20
Malerei aus Skulptur
Thomas Scheibitz in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 03/20
Für die Malerei
Sven Kroner in Gladbeck – Ruhrkunst 01/20
Zustand des Träumens
Leiko Ikemura in Gladbeck – Ruhrkunst 12/18
Realismus des Alltags
Paula Rego im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 07/25
„Auch mal am Tresen entstanden“
Leiterin Christine Vogt über die Ausstellung zu Udo Lindenberg in der Ludwiggalerie Oberhausen – Sammlung 07/25
Viel zu tun
RUB-Sammlungen im MuT Bochum – Ruhrkunst 07/25
Nachtspaziergang im Keller
„Light-Land-Scapes“ in Unna – Ruhrkunst 07/25
„Der Beton ist natürlich sehr dominant“
Die Kurator:innen Gertrud Peters und Johannes Raumann zu „Human Work“ in Düsseldorf – Sammlung 07/25
Die „Zweite Schuld“ der Justiz
Ausstellung zur NS-Vergangenheit des Bundesjustizministerium im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Ausstellung 06/25
Gegen den Strom
Dieter Krieg im Museum Küppersmühle – kunst & gut 06/25
Women first!
Judy Chicago in Recklinghausen – Ruhrkunst 06/25
In der Kunstküche
„Am Tisch“ und Medienkunst im Dortmunder U – Ruhrkunst 06/25
„Moderne Technologien werden immer relevanter“
Die Leiterin der Kunstvermittlung des ZfIL Unna, Christiane Hahn, über die neue Jahresausstellung – Sammlung 06/25
Geschichten einer Leidenschaft
Oskar Kokoschka mit den Porträts von Alma Mahler in Essen – kunst & gut 05/25
Einflüsse verschmelzen
Nadira Husain im Kunstmuseum Gelsenkirchen – Ruhrkunst 05/25
Bewegung und Berührung
Eva Aeppli und Jean Tinguely in Duisburg – Ruhrkunst 05/25