Viel ist hier aktuell nicht los, das telegraphiert der Korrespondent für den Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898. Die Redaktion der US-amerikanischen Zeitung telegraphiert zurück: „Bring uns die Bilder. Den Krieg machen wir hier in der Redaktion.“ Das ist eines der Beispiele, mit denen der Friedensforscher Jörg Becker veranschaulicht, wie sehr die Medien schon in frühen Tagen mit Mechanismen verbunden sind, die ideologisch vernebeln, statt aufzuklären.
In der Gegenwart sieht das nicht immer besser aus. Beispiel: 2012 ist eine Regisseurin inmitten der ägyptischen Revolutionswirren unterwegs. Von ihren AuftraggeberInnen wird sie gebeten, Bilder von Gewalt gegen Frauen zu liefern – um das muslimische Frauenbild darzustellen.
Diese gesellschaftlichen Hintergründe der Berichterstattung über Krieg und Krisen hat Jörg Becker zuletzt in seinem Buch „Medien im Krieg. Krieg in den Medien“ analysiert. In dem gemeinsam von Bahnhof Langendreer und Bochumer Friedensplenum veranstalteten Vortrag präsentierte der Politikwissenschaftler seine wichtigsten Thesen und Ergebnisse seiner Studie.
Welche politische Funktion haben Medien und Kommunikation in einer Gesellschaft? Dieser Frage geht der emeritierte Professor schon seit Jahren nach. Im Kulturzentrum Langendreer erklärt er zunächst: „Es gibt eine Ebene vor und hinter den Medien, die wir uns klar machen müssen.“ Ein Komplex aus Militär, Macht, Maschinen und Medien, die es aufzudecken gilt. „Das ist deswegen so wichtig, weil die Rechte dazu übergegangen ist, linke Begriffe zu okkupieren“, so Becker. Und das sei eine Neuheit im bundesrepublikanischen Kontext.
Historisch haben wechselnde Medien die Rolle der Kriegsberichterstattung übernommen: Während des 30-jährigen Krieges wurden die Propagandaschlachten erstmals mit den gedruckten Flugblättern der Gutenberg-Galaxis ausgetragen. In den Krimkrieg (1853- 56) wurden die ersten Fotografen geschickt. „Das sind die ersten, die Leichenbilder liefern“, so Becker. Der Golfkrieg (1991) ist schließlich die erste militärische Intervention, die live im US-TV übertragen wird.
Was gleich bleibt, sind die Feindbilder oder Muster, die reproduziert werden. Becker nennt das Beispiel Hitler: „Die Chiffre ‚Mann mit Lippenbart‘ wird bis in die Gegenwart benutzt.“ Etwa in der Berichterstattung über Saddam Hussein oder Hugo Chavez. Eine andere manipulative Konstante ist die Rhetorik, euphemistische Bezeichnungen wie „Friedenserzwingung“ oder „Luftschläge“.
Dass Sprache und Berichterstattung, Macht und Politik aufgrund marktwirtschaftlicher Mechanismen, wie Becker doziert, stärker denn je miteinander zu einem Komplex verschmolzen seien, macht er etwa an einflussreichen PR-Agenturen deutlich. Während des Kriegseinsatzes im Kosovokrieg wendet sich ein Fabrikant mit guten Beziehungen an die Hunzinger Informations-AG. Während der Bombardierung sei die Fabrik verschont geblieben, so Becker in seinem Vortrag: „So starken Einfluss haben PR-Agenturen mittlerweile.“ Auch die Berichterstattung von Kriegsschauplätzen in anderen Regionen werde mittlerweile von milliardenschweren PR-Agenturen gelenkt. Eine Fortsetzung der Medien mit anderen Mitteln? Becker formuliert es in Anlehnung an einen schwedischen Forscherkollegen wissenschaftlicher: eine Medialisierung des Krieges und Materialisierung der Medien.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Hartmut und Franz
Oliver Uschmann und sein Roman über das Verschwinden von Kafka – Literaturporträt 06/25
Die Ruhe im Chaos
Emma Ruth Rundle in Bochum und Köln – Musik 07/24
Unterschiedliche Erzählungen
Vortrag zur Geschichte des Nahostkonflikts in Bochum – Spezial 03/24
Geschichte der Ausbeutung
„Wie Europa Afrika unterentwickelte“ im Bochumer Bahnhof Langendreer – Spezial 02/24
Musik mit Sogwirkung
Derya Yıldırım und Grup Şimşek in Bochum – Musik 12/23
Dokumentation rechten Terrors
„Der Halle-Prozess“ in Bochum – Spezial 03/23
Knotenpunkt der Kultur
Bahnhof Langendreer feiert 36-jähriges Jubiläum – Prolog 07/22
Belletristik für Bestandskunden
Heinz Strunk in Bochum – Literatur 04/22
Alle Macht den Care- und Energieräten
Gabriele Winker in Bochum – Literatur 04/22
Berufung auf Umwegen
Nikita Miller zu Gast in Langendreer
Bühne frei
Poetry und Open Mic Bühne mit Ajayini Sathyan
Alles auf Prüfstand
Politisches Kabarett mit Jean-Philippe Kindler
Nicht alles glauben!
Wahlkampf NRW: Kampagne der Landesanstalt für Medien NRW – Spezial 09/25
Protest gegen Wucher
Online-Gespräch zur Geschichte der Berliner Mietenbewegung – Spezial 08/25
Die Vergangenheit ruhen lassen?
Vortrag über die Essener Justiz nach der NS-Zeit im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Spezial 08/25
Das Ende des Weltmarkts?
Online-Vortrag zur deutschen Wirtschaftspolitik – Spezial 07/25
Der deutschen Identität entkommen
Verleihung des taz Panter-Preises in Bochum – Spezial 07/25
Schuld und Sadismus
Diskussion am KWI Essen über Lust an der Gewalt – Spezial 07/25
Hab’ ich recht?
Diskussion über Identität und Wissen im KWI Essen – Spezial 06/25
Die Rechte erzählt sich gerne was
Diskussion über rechte Ideologie und Strategie im KWI Essen – Spezial 06/25
Im Spiegel der Geschichte
Die Ausstellung „Die Rosenburg“ im Bochumer Fritz Bauer Forum – Spezial 06/25
Kriegstüchtig und friedfertig
Diskussion über europäische Sicherheitspolitik in Dortmund – Spezial 06/25
Ein Leuchtturm für Demokratie und Menschenrechte
Eröffnung des Bochumer Fritz Bauer Forums – Spezial 06/25
Das Internet entgiften
Workshop zu Hassrede in der VHS Essen – Spezial 05/25
Auslöschen der Geschichte
Diskussion über Erinnerungskultur in Argentinien im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Spezial 04/25