Ach ja. Das Strahlende Baby. 1984 bei Paul Maenz in Köln. Eigentlich hat es uns fast vier Jahrzehnte begleitet, hängt immer noch als Magnet an der Kühlschanktür. Wer hätte damals ahnen können, welche Kunstaktie da so richtig bunt an uns vorüberzog. Die beiden Türen von damals hängen nun schlicht gerahmt im Folkwang Museum. Angeblich soll es ja noch eine abmontierte bemalte rheinische Raststättentoilettentür in Sammlerhand geben. Egal, Keith Haring hat jede Retrospektive, ob in London oder Essen, längst verdient, wenn mich auch die Mundschutz-Warteschlangen vor der Kasse etwas nervös machen. Das Devotionaliengeschäft mit Tüten, Taschen, Uhren hat schon was Merkwürdiges, wenn man die tiefe Bedeutung hinter einigen Piktogrammen kennt.
Kunst sei für jedermann
Nach Betreten der heiligen Hallen – leise höre ich von irgendwoher Devo – erschlägt das bunte Angebot für die Augen erst einmal. Hier ein Video, dort ein Schwarzlichtraum, ganz hinten das monströs lange Querformat „The Matrix“ (1983, Sumi auf Papier, 182,9 x 1521,5 cm). Längst hatte da der heiß laufende internationale 1980er-Kunstmarkt seine Zeichnungen von New Yorker U-Bahnschächten auf wertvolles Bütten mit japanischer Tinte gelenkt, längst war Haring kaum noch zu bezahlen, für Betuchte machte er sogar Nobelkarossen zu Kunstwerken. Dennoch blieb sein Anspruch: Kunst sei für jedermann und -frau.Das versuchte er mit seinem „Pop Shop“, wo er Auflagenobjekte für wenig Geld unter die Leute streute. Aber er wollte noch mehr, seine Arbeiten hatten meist einen gesellschaftlichen Background und wetterten damals friedlich gegen Homophobie, Rassendiskriminierung und Atomwaffen, wie mit seinem zweiteiligen „Poster for Nuclear Disarmament“ (Offsetlitho, 1982). Gerade diese kleinen Werke für sein Wirken als Aktivist im ruhelosen Big Apple sind tief ins Bewusstsein der echten Liebhaber eingedrungen, die riesigenEyecatcher dienen dabei als neuronale Knotenpunkte. Einen ähnlichen Weg des positiven Polit-Aktivismus bestreitet gerade Streetart-Künstler Banksy, der diese Keith-Haring-Retrospektive mit Sicherheit vorher in der Londoner Tate gesehen hat. Niemand sollte sie in Nordrhein-Westfalen verpassen. Auch wenn nur wenige Strahlenbabys zu finden sind.
Keith Haring | bis 29.11. Ausstellung vorzeitig beendet | Museum Folkwang, Essen | www.facebook.com/MuseumFolkwangEssen | 0201 884 50 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Gedächtnis der Fotografie
Rudi Williams im Museum Folkwang in Essen
„Konventionen über Bord werfen“
Co-Kuratorin Kerstin Meincke über „Germaine Krull: Chien Fou“ im Essener Museum Folkwang – Sammlung 12/25
Fotografie hören
„Stimmen der Zeit“ im Museum Folkwang in Essen
Wahre Geschichten
William Kentridge im Museum Folkwang Essen – kunst & gut 10/25
„Er fragt auch nach den Bezügen zu Europa“
Kurator Tobias Burg über „William Kentridge. Listen to the Echo“ im Essener Museum Folkwang – Sammlung 08/25
Geschichten einer Leidenschaft
Oskar Kokoschka mit den Porträts von Alma Mahler in Essen – kunst & gut 05/25
Auf Augenhöhe
Deffarge & Troeller im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/25
Hin und weg!
„Ferne Länder, ferne Zeiten“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 05/24
Keine Illusionen
Wolf D. Harhammer im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 03/24
„Wir sind stolz darauf, diese Werke im Bestand zu haben“
Kuratorin Nadine Engel über die Ausstellung zu Willi Baumeister im Essener Museum Folkwang – Sammlung 02/24
Visionen von Gemeinschaft
„Wir ist Zukunft“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/24
Aufbruch und Experiment in Paris
Meisterwerke der Druckgraphik im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 10/23
„Die Guerrilla Girls sind mit der Zeit gegangen“
Kuratorin Nicole Grothe über die Ausstellung der Guerilla Girls im Dortmunder Museum Ostwall – Sammlung 01/26
Tanzende Gitter
Susan Hefuna im Duisburger Museum Küppersmühle – Ruhrkunst 01/26
Klappe auf, Klappe zu
Rolf Glasmeier im Kunstmuseum Gelsenkirchen – Ruhrkunst 01/26
Geheime Erzählungen alltäglicher Gegenstände
Vera Lossau im Märkischen Museum Witten – kunst & gut 01/26
Die Abstraktion der Künstlerinnen
„InformElle“ im Emil Schumacher Museum Hagen – kunst & gut 12/25
Rund ums Staubhaus
„How we met“ im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 12/25
Raumschmuck aus Türmen
Mariana Castillo Deball im Dortmunder Kunstverein – Ruhrkunst 12/25
Gespiegelte Erdgeschichte
Robert Smithson in Bottrop – Ruhrkunst 11/25
Natur aus dem Gleichgewicht
Mika Rottenberg im Lehmbruck Museum in Duisburg – kunst & gut 11/25
Unter Ruhris
Brigitte Kraemer in Essen – Ruhrkunst 11/25
„Bei Fluxus ging es nicht ums Genie“
Direktorin Julia Lerch Zajączkowska über „How We Met“ im Kunstmuseum Bochum – Sammlung 11/25
Solare Kräfte
„Genossin Sonne“ im Dortmunder U – Ruhrkunst 10/25