Bildung ist der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben. Bildung ist ganzheitlich. Bildung ist ein hehres Gut. Doch unser hehres Gut, unser humanistisches Bildungsideal wurde im Jahre 2001 schwer erschüttert. Ein Land stand unter PISA-Schock. Was haben wir in den letzten Jahrzehnten versäumt? Haben wir den Anschluss an andere Länder verloren? Haben wir große Teile einer Generation am Rand des Bildungswegs links liegen lassen? Was müsste geändert werden?
Kritik war sicherlich berechtigt, Innovationen angebracht, eine Verwirtschaftlichung der Bildung jedoch nicht. Dr. Matthias Borchardt von der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Uni Köln kritisierte in seinem Vortrag im Bahnhof Langendreer die Auswirkungen besagter PISA-Ergebnisse sowie die Kriterien der OECD-Studie im Allgemeinen und legte dar, mit welchen Mitteln die humanistische Bildung zu einer Maschinerie verkomme, die lediglich Humankapital produziert.
Die Methodik der PISA-Studie sei hinsichtlich der Bewertung von Bildung äußerst fragwürdig. Die eigentliche Bildung trete in den Hintergrund, stattdessen finde eine kompetenzreduzierte Umschrift von Bildung statt. Bildung werde normiert zu einer Abfrage von Wissen, bemängelt Matthias Borchardt. Aufgrund des PISA-Schocks konnten Konzerne und Stiftungen Einfluss auf die Umformierung des deutschen Bildungswesens nehmen. An prominenter Stelle ganz vorne dabei war und ist die Bertelsmann-Stiftung, an deren Beispiel Matthias Borchardt den Prozess der Verwirtschaftlichung der Bildung erläuterte.
Eingriff in demokratische Diskurse
Kritisch beurteilt Borchardt die gemeinnützige Stiftung mit ihrem operativen Habitus und ihrer engen Verknüpfung mit der gleichnamigen AG, der RTL, random house, arvato und mehr angehören. Bertelsmann greife in demokratische Diskurse ein, nehme auf mehreren Ebenen eine Gesellschaftstranformation vor, so Borchardt. Von Bertelsmann in Auftrag gegebene Rankings und Studien untersuchen sozialgesellschaftliche Bereiche mit Parametern, die nicht nachvollziehbar sind, aber dennoch nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr werden ihre Ergebnisse, wie zum Beispiel das Standort-Ranking oder der „Deutsche Lernatlas“ zur Grundlage politischer Entscheidung. Bertelsmann-Rankings flossen ein in die Hartz IV-Bestimmungen und fließen auch ein in mehrheitsfähige, moralische aufgeladene Themen, gegen die sich niemand traut Kritik zu äußern, möchte man nicht einen entrüsteten, bundesweiten Aufschrei riskieren. Und wer wollte schon etwas gegen so positiv besetze Themen wie Inklusion einwerfen?
Doch der Bertelsmann-Stiftung gehe es mit ihren Studien hauptsächlich darum, die Gesellschaft von einem Ist- auf einen Soll-Wert zu bringen und Bildung dem Markt zuzuführen, auch und besonders mit Steuerungsmomenten aus der Wirtschaft. Dass diese nicht auf sozialgesellschaftliche Bereiche übertragen werden dürften, da sie schlicht und einfach nicht passen, klammern viele Politiker wie auch Pädagogen aus. Schließlich sei ja alles reformbedürftig. Und so unterwerfen sich Politik und Bildung diesem Wirtschaftsdiktat, versuchen teilzuhaben an diesen Reformprozessen, im Glauben, während der Entscheidungsphase eigene Denkanstöße einbringen zu können.
Doch die Einbeziehung sei nur scheinbar, bemerkte Borchardt, und lediglich ein Instrument, um Akzeptanz zu schaffen. Er sei kein Verschwörungstheoretiker, betonte Borchardt, doch diese Transformation sei real, werde sogar von RTL-Formaten wie „Extrem schön“ und „Einsatz in 4 Wänden“ unterstützt. Dieses mediale brain washing arbeite nach den gleichen Prinzipien wie die Umstrukturierung der Bildung. Am Ende entsteht eine Marktgesellschaft, hervorgegangen aus der Marktwirtschaft, deren Blüten bereits die Dokumentation „Work hard - play hard“ eindrücklich veranschaulicht.
Waren zur Veranstaltung der GEW im Bahnhof Langendreer zwar hauptsächlich Vertreter und Vertreterinnen aus dem Schuldienst anwesend, sollte die angestrebte Transformierung der Gesellschaft für alle ein Thema sein, an das es sich lohnt, ein paar Gedanken zu verschwenden. Schließlich betrifft diese auch die Vielfalt und Vitalität unsere Demokratie.
Nietzsches Feststellung bezüglich Wissenschaft mag auf einen veränderten Bereich bezogen heute noch weitaus relevanter sein: „[…] Das heißt eben doch nur: die Menschen sollen zu den Zwecken der Zeit abgerichtet werden, um so zeitig als möglich mit Hand anzulegen: sie sollen in der Fabrik der allgemeinen Utilitäten arbeiten, bevor sie reif sind, ja damit sie gar nicht mehr reif werden – weil dies ein Luxus wäre, der ‘dem Arbeitsmarkte’ eine Menge von Kraft entziehen würde. Man blendet einige Vögel, damit sie schöner singen: ich glaube nicht, daß die jetzigen Menschen schöner singen als ihre Großväter, aber das weiß ich, daß man sie zeitig blendet. […]“
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