Das erste Bild, dass ich von Evelyn Richter (1930-2021) in ihrer Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast entdecke, hat was mit Softeis zu tun. Kein Wunder, es ist ein kleiner Mythos, der mir im Gedächtnis geblieben ist, DDR-Softeis hatte (so die Recherche) wohl keine Sahne und nur wenig Luft, war wohl ein wenig fester als das westdeutsche. Ich kann das leider nicht mehr vergleichen, wäre aber bestimmt lecker gewesen. Die Aufnahme jedenfalls ist ein visueller und aufbautechnischer Kracher, obwohl die Fotografin das schwarzweiße Bild nicht in ihr Werk aufnahm und nur im Archiv schlummern ließ. Wohl Asbest auf dem Dach und die geometrische „Platte“ im Rücken, menschenleer ist´s, aber die Eisverkäuferin lächelt freundlich. So muss es gewesen sein, im grauen Osten, den die renommierte spätere Frau Professorin vier Jahrzehnte lang fast ohne Farbe dokumentierte, oft zum Leidwesen der Obrigkeit, die dem Farblosen immer auch eine positive politische Note abringen wollte.
Rund 300 Exponate sind in der retrospektiven Ausstellung zu sehen, neben den Fotografien auch eine Wand mit Schallplattencovern (Klassik) und Vitrinen mit Kontaktabzügen und Archivmaterial. Insbesondere die Lebens- und Arbeitswelten der DDR interessierten die Fotografin, die immer freiberuflich arbeitete und, nachdem sie während einer Moskau-Reise notgedrungen auf Kleinbild-Formate umsteigen musste, immer häufiger unterwegs und nahe am Objekt auf den Auslöser drückte. So sind dann sehr ungewöhnliche Portraits von Bürgern in öffentlichen Verkehrsmitteln entstanden, die genau so viel vom Alltag in der DDR erzählen, wie die auf den Punkt portraitierten Arbeiterinnen an ihren Maschinen. Das letzte Bild der Retro ist ein Schnappschuss in die Ausstellung „Junge Fotografen der 80er Jahre“ (Galerie Mitte, Dresden, 1985). Immer ist die Zeit eingefroren, doch die spezielle Atmosphäre findet einen Weg in die Gegenwart. Das hat die Fotografin auch geschafft. Spät wurde ihr auch im Westen Anerkennung gezollt, obwohl ihre Qualität längst bekannt war. 2020 erhielt Evelyn Richter als erste Preisträgerin den Bernd-und-Hilla-Becher-Preis (15.000 Euro) für ihr Lebenswerk. Zu Recht.
Evelyn Richter | bis 8.1.23 | Museum Kunstpalast, Düsseldorf | 0211 56 64 21 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
„Wichtig ist für ihn die Ästhetik der Kabel“
Kuratorin Felicity Korn über „Echo“ von Elias Sime im Düsseldorfer Kunstpalast – Sammlung 01/25
Richter daheim
Gerhard Richter im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 11/24
Ritt durch die Jahrhunderte
Die Neupräsentation im Kunstpalast in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/24
Die stille Anwesenheit der Dinge
Cornelius Völker im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 10/23
„Horror ist ein Werkzeug, um gegen bestimmte Normen zu agieren“
Kuratorin Westrey Page über „Tod und Teufel“ im Kunstpalast Düsseldorf – Sammlung 10/23
Die Schönheit der verhüllten Welt
Christo und Jeanne-Claude im Museum Kunstpalast Düsseldorf – Kunstwandel 10/22
Menschen und Landschaft
Max Liebermann im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 04/22
„Das sind ganz besondere Einblicke“
Felicity Korn über Peter Lindberghs Fotografien im Düsseldorfer Museum Kunstpalast – Sammlung 02/20
Wie aus Stein modelliert
Modestar Pierre Cardin im Düsseldorf Museum Kunstpalast – Kunstwandel 11/19
Schlag auf Schlag
Repercussion spielen im Kunstpalast in Düsseldorf
„Ein einzigartiges Transformationserlebnis“
Kuratorin Sandra Badelt über „Black & White“ im Düsseldorfer Museum Kunstpalast – Sammlung 03/18
Zwei Farben sind oft schon genug
Die Stiftung Museum Kunstpalast zeigt „Black & White. Von Dürer bis Eliasson“ – Kunst in NRW 03/18
„Er fragt auch nach den Bezügen zu Europa“
Kurator Tobias Burg über „William Kentridge. Listen to the Echo“ im Essener Museum Folkwang – Sammlung 08/25
Formationen lesen
Amit Goffer im Haus Kemnade – Ruhrkunst 08/25
Appetithäppchen
Westdeutscher Künstlerbund (WKB) in Witten – Ruhrkunst 08/25
Geschichten und Gegenwart
Miriam Vlaming in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 08/25
„Auch mal am Tresen entstanden“
Leiterin Christine Vogt über die Ausstellung zu Udo Lindenberg in der Ludwiggalerie Oberhausen – Sammlung 07/25
Realismus des Alltags
Paula Rego im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 07/25
Nachtspaziergang im Keller
„Light-Land-Scapes“ in Unna – Ruhrkunst 07/25
Viel zu tun
RUB-Sammlungen im MuT Bochum – Ruhrkunst 07/25
„Der Beton ist natürlich sehr dominant“
Die Kurator:innen Gertrud Peters und Johannes Raumann zu „Human Work“ in Düsseldorf – Sammlung 07/25
Die „Zweite Schuld“ der Justiz
Ausstellung zur NS-Vergangenheit des Bundesjustizministerium im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Ausstellung 06/25
In der Kunstküche
„Am Tisch“ und Medienkunst im Dortmunder U – Ruhrkunst 06/25
Women first!
Judy Chicago in Recklinghausen – Ruhrkunst 06/25
Gegen den Strom
Dieter Krieg im Museum Küppersmühle – kunst & gut 06/25