Wer es nicht erlebt hat, kann es heute kaum glauben, welchen Aufruhr die 1960er Jahremal wieder in der Mode erzeugt haben. Abgesehen von den knappen Stoffbahnen um den Hüften. Allein die neuen künstlichen Fasern machten Kreationen möglich, deren Futurismus eigentlich bis heute nicht wieder erreicht wurde. Einer dieser jungen prägenden französischen Modedesigner war Pierre Cardin, dem das Düsseldorfer Museum Kunstpalast jetzt seineerste umfangreiche Präsentation in Deutschland ausrichtet, inklusive Modenschau-Screens und ein paar Devotionalien.
Schon das Entrée stupst die Besucher in die schwarzweiße Welt von Raumschiff Orion oder die von James Bond, der damals noch einen gewissen Dr. No jagte. Abgefahren der Mini von 1968 oder der Woll-Bodysuit mit Perry-Rhodan-Astronautenhelm aus derselben Kollektion. Das Auge wandert unermüdlich über die etwas erhöhte Fläche, gleich daneben quasi als Kontrast Jumpsuit und Bonnet von 1990. Cardin wird schnell bekannt für seine provokativen objekthaften Kollektionen, seine Haute-Couture-Entwürfe nennt der Meister eine „plastische Konstruktion in Bewegung“. Und das will nichts anderes heißen als Mode als bildende Kunst zu einer Zeit, als das Akademische noch als Absolutismus verteidigt wurde. Dann kamen in den 1980ern seine ausgestopften Jacken mit Pagodenschultern und Helmen, die heute wohl unter das Vermummungsverbot fallen würden. Auch seine Filzhüte mit Blicköffnungen erfüllen diese Tatsache ohne Reue. Sie sind einfach, schön und außergewöhnlich wie alles, was Cardin gemacht hat. Und um für die Besucher den Reiz zu erhöhen, muss man sich vor den Kreationen verbeugen, um das Entstehungsjahr zu lesen. Absicht oder Zufall: auch im schönen Katalog sind die Angaben zu den Fotos winzig.
Hat man erst einmal den Saal voller perfekt gearbeiteter Modellkleidung umrundet, geht es ab in den verrückten Spiegelsaal „Fashion Futurist“, wo mein persönliches Highlight ausgestellt ist, das schwarzrote Klatschmohn-Kleid von 2013 aus der Kollektion Maxim´s La Nuit (Samt, Rosshaar und Synthetik). Zugegeben, es gibt spektakulärere Roben, wüstere Stoff-Plastiken, aber hier sind Form, Schlichtheit und Linie eine besondere Symbiose eingegangen.
Pierre Cardin. Fashion Futurist | bis 5.1. | Museum Kunstpalast Düsseldorf | 0211 56 64 21 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Ritt durch die Jahrhunderte
Die Neupräsentation im Kunstpalast in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/24
Die stille Anwesenheit der Dinge
Cornelius Völker im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 10/23
„Horror ist ein Werkzeug, um gegen bestimmte Normen zu agieren“
Kuratorin Westrey Page über „Tod und Teufel“ im Kunstpalast Düsseldorf – Sammlung 10/23
Der Osten war schwarzweiß
Evelyn Richter im Museum Kunstpalast – Kunstwandel 12/22
Die Schönheit der verhüllten Welt
Christo und Jeanne-Claude im Museum Kunstpalast Düsseldorf – Kunstwandel 10/22
Menschen und Landschaft
Max Liebermann im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 04/22
„Das sind ganz besondere Einblicke“
Felicity Korn über Peter Lindberghs Fotografien im Düsseldorfer Museum Kunstpalast – Sammlung 02/20
Schlag auf Schlag
Repercussion spielen im Kunstpalast in Düsseldorf
„Ein einzigartiges Transformationserlebnis“
Kuratorin Sandra Badelt über „Black & White“ im Düsseldorfer Museum Kunstpalast – Sammlung 03/18
Zwei Farben sind oft schon genug
Die Stiftung Museum Kunstpalast zeigt „Black & White. Von Dürer bis Eliasson“ – Kunst in NRW 03/18
Struktur in der Landschaft
Axel Hütte in Bottrop und Düsseldorf – Ruhrkunst 11/17
Viel zu entdecken
Die Große Kunstausstellung NRW in Düsseldorf – Ruhrkunst 03/17
„Die Realitäten haben sich verändert“
Die Kuratorinnen Özlem Arslan und Eva Busch über die Ausstellung zur Kemnade International in Bochum – Sammlung 04/24
Utopie und Verwüstung
„The Paradise Machine“ in Dortmund – Ruhrkunst 04/24
Ins Blaue
„Planet Ozean“ im Gasometer Oberhausen – Ruhrkunst 04/24
„Das kann einem einen kalten Schauer bringen“
Direktor Tayfun Belgin über die Gottfried Helnwein-Ausstellung im Osthaus Museum Hagen – Sammlung 04/24
Spuren und Ahnungen
Stefan Müller und Viola Relle im Dialog in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 04/24
Intensive Blicke
Fotografin Annelise Kretschmer im MKK Dortmund – Ruhrkunst 03/24
Kultige Cover
Designagentur Hipgnosis in Oberhausen – Ruhrkunst 03/24
Keine Illusionen
Wolf D. Harhammer im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 03/24
„KI erlaubt uns einen Einblick in ein kollektives Unbewusstes“
Kuratorin Inke Arns über Niklas Goldbachs „The Paradise Machine“ im Dortmunder HMKV – Sammlung 03/24
Unter unseren Füßen
Archäologie der Moderne im Ruhr Museum – Ruhrkunst 02/24
Auf und mit der Oberfläche
Wilhelm Wessel im Emil Schumacher Museum in Hagen – kunst & gut 02/24
Diplomatie kreativ
Ingo Günther im Kunstverein Ruhr in Essen – Ruhrkunst 02/24
„Wir sind stolz darauf, diese Werke im Bestand zu haben“
Kuratorin Nadine Engel über die Ausstellung zu Willi Baumeister im Essener Museum Folkwang – Sammlung 02/24