Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.557 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Regisseur Philipp Preuss
Foto: Theater an der Ruhr

Die Träume des Dritten Reichs

01. November 2020

Lars von Triers „Europa“ in Mülheim – Bühne 11/20

Ich stand an der Küste und redete mit der Brandung. Blabla, im Rücken die Ruinen von Europa. Ja, Heiner Müller. Um diesen unseren Kontinent geht es auch in Lars von Triers Europa-Trilogie. Nach „The Element of Crime“ (1984) und „Epidemic“ (1987) heißt es dann im Abschlussfilm „Europa“ (1991): „Du hörst jetzt auf meine Stimme. Meine Stimme wird dir helfen, dich noch tiefer nach Europa zu führen. Ich zähle jetzt von eins bis zehn, bei zehn wirst du in Europa sein.“ Philipp Preuss inszeniert im Theater an der Ruhr die Reise des jungen Deutschamerikaners Leopold Kessler durch das surreale, verwüstete Deutschland der Nachkriegszeit, in dem noch nationalsozialistische Fanatiker, sogenannte Werwölfe durch die Szenerien geistern und derZentropa-Schlafwagenschaffner Leopold im Verlauf vor schwierige Entscheidungen gestellt werden wird. Da wird die Tochter seines braunbelasteten Chefs, Max Hartmann geheiratet, die dann entführt wird. Daraufhin wirdKessler erpresst, doch die Dinge scheinen in der deutschen Stunde Null nicht so zu sein, wie sie zu sein scheinen.

Das hypnotische des Films wird nun von Preuss auf die Mülheimer Theaterbühne transportiert unter dem Titel „Europa oder die Träume des dritten Reichs“ und dem Hinweis *nach* Lars von Trier in die Zeitgenössischkeit einer von Pandemien geschüttelten (nicht gerührten) Gesellschaft erweitert. Denn das braun zuckende Virus der Vergangenheit ist noch lange nicht besiegt. Wo fängt also das kafkaesk Reale des Drehbuchs immer wieder an und wo hört der tatsächliche Widerstand gegen das Gestrige immer wieder auf? Das sind Fragen, die nach 75 Jahren immer noch nicht ausreichend beantwortet sind, und in Deutschland bleibt die Brechtsche Ahnung von 1957 über den immer fruchtbar bleibenden Schoß wohl allgegenwärtig und scheinbar gen-immanent. Der deutschamerikanische Schlafwagenschaffner jedenfalls hat dies zu seinem Leidwesen einsehen müssen. Die Konsequenz, die Leopold bei dieser Reise zieht, kann und muss wohl als Vision reichen.

Europa oder die Träume des Dritten Reichs | R: Philipp Preuss | Online-Premiere: 22.11. 19.30 Uhr | www.twitch.tv/theateranderruhr | Theater an der Ruhr, Mülheim | 0208 599 01 88

PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Arthur der Große

Lesen Sie dazu auch:

Brautkleid aus reinster Haut
„Subcutis“ in Mülheim a. d. Ruhr und Köln – Theater Ruhr 01/24

„Theater wieder als Ort einzigartiger Ereignisse etablieren“
Dramaturg Sven Schlötcke übertiefgreifendeVeränderungen am Mülheimer Theater an der Ruhr – Premiere 08/23

Ibsen im syrischen Knast
„Up there“ am Theater an der Ruhr – Prolog 11/22

Auf diesem geschundenen Planeten
„Weiße Nächte / Retour Natur“ des Theater an der Ruhr – Prolog 08/22

Vom Universum geblendet
„Vom Licht“ am Theater an der Ruhr – Auftritt 04/22

Gegen den Mangel an Erkenntnis
„Vom Licht“ in Mülheim – Prolog 03/22

Nebel, Schaum und falsche Bärte
„Nathan.Death“ am Theater an der Ruhr – Auftritt 11/21

Wenn die Natur zum Ausnahmezustand wird
Vladimir Sorokins „Violetter Schnee“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Bühne 08/21

Beuys inklusive Torte, Kerze und Whisky
Theater, Kunst und Musik gegen Kohle: die Weißen Nächte im Theater an der Ruhr – Festival 08/21

Ihr wollt Brot, sie werfen euch Köpfe hin!
„The Return of Danton“ in Mülheim – Prolog 06/21

Die Toten zum Verwesen freigegeben
„Antigone. Ein Requiem“ im Theater an der Ruhr in Mülheim – Bühne 02/21

Von Sophokles zu Frontex
„Antigone. Ein Requiem“ im Theater an der Ruhr in Mülheim – Prolog 02/21

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!