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Esther Bejarano neben ihrem Sohn im Bahnhof Langendreer
Foto: Benjamin Trilling

Musik gegen das Vergessen

24. April 2017

Esther Bejarano meets „Microphone Mafia“ am 21.4. im Bahnhof Langendreer

Die aufgebauten Stühle im Konzertsaal des Bahnhof Langendreer verraten schon einiges: Vorne sitzen treue Weggefährten, die die Lieder Esther Bejaranos schon seit Jahrzehnten kennen und schätzen. Hinten stehen Reihen mit BesucherInnen aller Altersgruppen, die den Songs und Mahnungen der 92-Jährigen gespannt lauschen. Es geht auch um Wachablösung, um das Erbe in die Einsicht, dass sich die Schrecken der Shoah in keiner Form wiederholen dürfen. Kampf, Musik, gegen das Vergessen. „Ich singe, bis es keine Nazis mehr gibt!“ Das ist das Credo, das die Sängerin und Akkordeonistin seit Jahrzehnten wiederholt. Darum geht es auch an diesem gut besuchten Konzertabend im Bahnhof Langendreer, wo Esther Bejarano in der bewährten Formation mit dem Musikprojekt „Microphone Mafia“ auftritt. Während sie deutsche, französische oder jiddische Texte singt, rappen die beiden Bandmitglieder Kutlu und Yoram, Bejaranos Sohn, antirassistische Verse.

Dass eine 92-Jährige regelmäßig mit einer HipHop-Band auftritt, ist alles andere als selbstverständlich. So kokettiert auch Yoram gerne damit: „Wer kann schon von sich sagen, dass seine Oma in einer Rap-Band spielt“, sagt der 43-jährige Rapper mit Blick auf seinen Bandkumpel Kutlu, der von Esther Bejarano zum Enkel ehrenhalber erklärt wurde.

Hintergrund der Musik ist auch die Biographie Esther Bejaranos: „Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Rap-Band gegen rechts“, fasst sie es in ihrer Autobiographie zusammen. Darin schildert sie, wie Musik ihr das Leben gerettet hat. Nur mit Glück entging sie dem Tod im Konzentrationslager Auschwitz, wo sie wie viele andere zum stumpfsinnigen Steineschleppen gezwungen wurde. Als eine Akkordeonistin für den Mädchenchor gesucht wurde, meldete sie sich, obwohl sie nur Klavier spielen konnte. Doch sie nutzte diese Chance. Später konnte sie fliehen. Sie überlebte. Ihre Eltern und ihre Schwestern wurden von den Nazis getötet.

Der Aufklärung, dem Ansingen gegen den Faschismus ist sie sich Zeit ihres Lebens treu geblieben. Berühmt ist ihre Teilnahme an einer Demonstration gegen einen Neonazi-Aufmarsch 2004 in Hamburg und ihre scharfe Kritik am deutschen Staat, die FaschistInnen zu stützen. Neben etlichen Bühnenauftritten besucht die Holocaust-Überlebende regelmäßig Schulen.

Auch in Bochum gibt es neben Liedern aus dem jüdischen oder italienischen Widerstand, Texten von Brecht oder pazifistischen Songs immer wieder Ansprachen über tagespolitische Turbulenzen. Etwa den Putsch in der Türkei und den Umgang mit den DeutschtürkInnen, der rassistische Affront gegen die Opfer des NSU oder die Hetze (und leider auch Gesetze) gegen Flüchtlinge. Ihr Sohn Yoram spricht die Verantwortung der Bundesrepublik an, die militärisch wie ökonomisch an so vielen Brandherden mitmischt und fordert: „Wir müssen diese Menschen willkommen heißen!“ Dafür gibt es lauten Applaus. Ja, ein Konzert mit Bejarano, mit „Microphone Mafia“ gleicht auch an diesem Abend einem Ritual gegen das Vergessen, gegen die Rückkehr von Nationalismus und Rassismus im großen Format. Denn auch dagegen kämpfen sie bei „Microphone Mafia“ – mit bodenständigem Rap und traditionellen Hymnen des Widerstands. Nach den Zugabe-Rufen tritt Bejarano noch einmal ans Mikro. „Jetzt singen alle mit“, fordert die 92-Järhige. Und im Saal stimmen alle mit an. Jung und alt. „Bella Ciao“, ein antifaschistischer Klassiker. Bei all dem neokonservativen Muff, ist das nur erfrischend und aktuell. 

Benjamin Trilling

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