Ein schwarzes Loch ist dieser Kaukasus, in dem Lemi Ponifasio einen antiken Mythos verhandelt. Aber dieses Loch ist alles, was die Menschen haben. Dort ist auch der Titan Prometheus angekettet und trägt seinen Kampf gegen die Götter als serielles Ritual aus.
In altem Griechisch von Aischylos wird dort deklamiert in der Kraftzentrale des Duisburger Landschaftsparks. Im Innern des 170 Meter langen und 35 Meter breiten Raums wurde früher viel Wind gemacht und heiße Luft produziert, heute hallen die Orffschen Schlagwerke durchs Gemäuer und der samoanische Performer darf dort seine Installation über die immer wiederkehrende Auseinandersetzung zwischen Mensch und Göttern zelebrieren.
Das Publikum hockt, „angekettet“ wie Prometheus, auf der Tribüne und wird allen gängigen Rezeptionsmöglichkeiten beraubt, der Text ist nicht verständlich, die Musik kaum verifizierbar, die Augen von gleißendem Licht gequält, und was die Schar dort hundert Meter weit entfernt an Tätigkeiten verrichtet, entzieht sich geschickt den Blicken der Massen. Ein langes, leicht schräges Podest, das durch grüne Neon-Stäbe optisch Stufen vortäuscht und in der Unendlichkeit endet, ist der Schauplatz des Nichts, in dem der Menscherretter gelandet ist und jammert und erklärt und wütet und prophezeit, alles, ohne einmal die Kurvenhülle der Töne zu überziehen. Babylonisches Sprachgewirr für den einen, reiner Sprachklang für den anderen. Die Geschichte des geketteten Helden sollte man kennen, notwendig ist das jedoch nicht, wenn man sich nur auf das bewegungsarme Ritual und die Musik konzentriert.
Ponifasio zwingt zur Meditation, zwingt zur körperlichen Anteilnahme, zur Reduktion auf das Nichts, das alle umfängt. Eine Performance der Schattenwelt, die längst in den gleißenden Lichtern der Metropolen verloren ging – allen Orffschen Kaskaden zum Trotz. Ein trotziger Prometheus wirft sich der Verblendung entgegen, ohne sich von seinem felsigen Sarkophag wegzubegeben. Travelling without moving, doch die Reise führt in den zwangsläufigen Untergang. Die Verweigerung des Alltäglichen durch Ponifasio ist schwer zu ertragen. Sein Minimalismus könnte auch als Einfallslosigkeit gelten, doch welche künstlerische Brisanz steckt hinter diesem Nichtvorhandensein des Einfalls. Interpretation ist nicht gefordert, Dramaturgie nicht notwendig, der unerhörte Vorgang selbst bleibt die Säule des Abends, und natürlich die archaische Tonalität.
Dirigent Peter Rundel leistet dafür Großes mit seinem Orchester aus zwölf Schlagzeugern und mit einem kaum zu überblickendem exotischen Instrumentarium, mit vier Klavieren und Harfen sowie sechsfacher Bläserbesetzung – dazu kommen noch neun Kontrabässe. Eine Maschinerie, die das „Ensemble musikFabrik“, die NRW SPLASH-Perkussion und die Musiker des Orchesterzentrums Nordrhein-Westfalen vorzüglich und präzise über 140 Minuten bedient. Das gleiche gilt für das „ChorWerk Ruhr“, das wie die MAU Company in die Choreografie eingebunden wurde. Erwähnt werden muss neben Wolfgang Newerlas Prometheus auch Brigitte Pinters perfekte Io.
Die Auseinandersetzung auf Titanenniveau lässt die Menschen abseits stehen, sie wandeln wie in Trance neben der Bühne. Auf der anderen Seite fließen die Okeaniden (Chor) im Strom im Kreis und entziehen sich so dem Einfluss der Übermächtigen. Io und Prometheus haben dafür Avatare auf der blanken Fläche, die leiden, während sie verrichten. Prometheus liegt auf einer Krankenbahre, wird mit Flüssigkeit übergossen. Am Schluss entfallen Blitz und Donnerschläge, kein Erdbeben führt den Helden mit Gefolge in den Hades. Weißer Rauch steigt auf, bleibt schwebend über der Szenerie ganz hinten an der Wand. Die Götter sind eben Götter und wir nur Menschen.
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