Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.562 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

„Goldmund“, 2005, © Herlinde Koelbl
© Herlinde Koelbl

Der unverwackelte deutsche Mensch

29. Januar 2015

Herlinde Koelbl Werkschau in Oberhausen – Kunstwandel 02/15

„See androids fighting Brad and Janet“. Unweigerlich muss ich an die Rocky Horror Picture Show denken, als ich das riesige Tableau voller Münder im Entree der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen sehe. Es ist die Serie „Goldmund“ (2005) der Fotografin Herlinde Koelbl, die dort in einer umfassenden Werkschau auf allen Etagen gezeigt wird. Wer die Arbeiten der in erster Linie wichtigsten Dokumentarin deutscher Befindlichkeit noch nie gesehen hat, der wird in Oberhausen am Vater Rhein vorzüglich informiert, obwohl es in der letzten Zeit eigentlich viele Gelegenheiten in Nordrhein-Westfalen gegeben hat, ihren Werken im Original zu begegnen.

Angefangen hat alles mit der Serie „Das deutsche Wohnzimmer“ (1978-1980). Normale Menschen in ihrer gewohnten Umgebung. Keine inszenierte Fotografie, keine Studios waren dafür notwendig, Koelbl überließ ihren Protagonisten die Auswahl der Orte und der Requisiten. Und die eigene Selbstdarstellung, die gerade in den Wohnzimmern auch nach Jahrzehnten sichtbar macht, wie bei den Menschen die Reflexion des eigenen Ichs über Wohnkultur funktioniert. „Es geht mir bei meinen Langzeitprojekten darum, das Thema von allen Seiten zu beleuchten und in die Tiefe zu gehen“, sagte Koelbl, die die Schau in Oberhausen eigenhändig mit aufgebaut hat und nicht nur als Fotografin arbeitet. Für den „Goldmund“-Block hat sie Menschen zu ihrem Verhältnis zum Geld gefragt und was wäre, wenn man plötzlich reich wäre. Die Kamera friert nur die Mimik des Mundes ein, die Antwortenden bleiben auch in der Videoinstallation im obersten Stock anonym, wenn auch ihre Antworten zwischen Kauf des Kölner Doms und massenweise Kinderkriegen etwas verwirren. Und so geht es wieder weiter durch Haartürme (Serie: Haare 2001-07), nackte Menschen im Leiblichkeitsraum und über Jahre portraitierte Kinder (1990-94).

 

Auch die gnadenloseste Serie „Spuren der Macht“ war eine Langzeitstudie, bei der die Fotografin Personen des öffentlichen Lebens länger als ein Jahrzehnt beobachtete. Dabei ging sie der Frage nach, wie ein öffentliches Amt den Menschen physiognomisch verändert. Und da sind sie mal wieder komprimiert, die seriellen Fotos des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und seiner Amtsnachfolgerin Angela Merkel, sandgestrahlte Masken ohne Regung, nur die Augen verraten hier und da auch die Angst vor dem Versagen, selbst dem als Außenminister posenden Joschka Fischer ist die Anspannung ins Gesicht gegerbt. Das sind auch erschreckende Zeitdokumente, ähnlich den militanten „Targets“, die Koelbl gerade in Bonn ausgestellt hatte. Und dennoch. So unverwechselbar das Konzept ihrer Arbeit auch ist, so unterschiedlich sind ihre Serien in Bezug auf die jeweilige fotografische Arbeitsweise. Am tiefsten hat sie sich sicherbei der Arbeit „Jüdische Porträts“ (1986-89) hinter der Kamera verborgen. Hier gehörten auch die Antworten der abgebildeten letzten Zeitzeugen „untrennbar zum Werk hinzu“.

Herlinde Koelbl | bis 3.5. | Ludwiggalerie Schloss Oberhausen | 0208 412 49 28

PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

The Fall Guy

Lesen Sie dazu auch:

Kultige Cover
Designagentur Hipgnosis in Oberhausen – Ruhrkunst 03/24

Steinewerfer auf der Leiter
Barbara Klemm in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Kunstwandel 03/23

Aus dem Nähkästchen
Strips und Stories in der Ludwiggalerie Oberhausen

Böse Buben kommen heute in Abfalleimer
„Der Struwwelpeter“ in der Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen – Kunstwandel 12/19

Gegen die Idylle malen
Stephan Kaluza in Oberhausen – Ruhrkunst 09/19

„Ein funktionierendes Konzept für diese Region“
Museumsdirektorin Dr. Christine Vogt über „Die Geste“ und die Ludwig Galerie Schloss Oberhausen – Sammlung 09/18

Als Promis noch berühmt waren
„Shoot! Shoot! Shoot!" im Schloss Oberhausen – Ruhrkunst 03/18

Chronist des Alltäglichen
Sam Shaw in Oberhausen – Ruhrkunst 08/17

„Skurrile Situationen, für die es keine Worte gibt“
Der Cartoonist Mordillo in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Sammlung 08/17

Die Sucht nach dem Gegenstand
„Let’s buy it!“ in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Kunstwandel 03/17

Kolorierte Bosheit
„Wir schaffen das!“ in Oberhausen – Ruhrkunst 11/16

Ein patriarchaler Haufen zum Piepen
„Entenhausen – Oberhausen“ in der Ludwiggalerie – Kunstwandel 10/16

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!