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„Die lächerliche Finsternis"
Foto: Martin Kaufhold

Der Autor als Kolonialist betrachtet

29. Januar 2015

„Die lächerliche Finsternis“ am Theater Essen – Theater Ruhr 02/15

Man muss sich Ultimo Michael Pussi als einen intellektuellen Menschen vorstellen. Er ist immerhin Doktor der angewandten Piraterie, mit Hochschulabschluss in Mogadischu, wozu ihm Stipendien der Studienstiftung des somalischen Volkes sowie des islamistischen Studentenwerks verhalfen. Jetzt steht er in Deutschland vor Gericht und bedient in halsbrecherischer Mimikry westliche Kolonialklischees. Der gute Wilde spricht deutsch, seine Umwelt ist wunderbar verschmutzt, trotzdem schön wie im Urlaubsprospekt, und er ist guten Willens – der ideale Pirat also, der vermutlich auch nur Asyl möchte. Am Theater Essen tritt er in Gestalt von vier Soldaten in Fantasieuniform auf. Mit exakt dem Operettenstaats-Fantasiereichtum, mit dem hier die „Ordnung des (westlichen) Diskurses“ grotesk behauptet und zugleich unterlaufen wird.

Das in der Casa für die Bühne eingerichtete Hörspiel „Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz nimmt Bezug auf Joseph Conrads berühmte Erzählung „Heart of Darkness“ und schildert die Suche der deutschen Soldaten Pellner und Dorsch nach dem verschollenen Kameraden Deutinger im afghanischen Hinterland. Lächerlich ist das schon deshalb, weil Afghanistan hier über einen Urwald und einen Fluss namens Hindukusch verfügt. Selbst die Natur passt sich der klischierten Erwartung an. Regisseur Robert Gerloff inszeniert diese Bootsfahrt mit allen absurd-realistischen Mitteln. In Reih und Glied sind da ein Lager mit Pritsche, ein zeltartiger Unterstand, ein „typischer“ Urwaldkiosk, ein Bambuskäfig und ein Surfbrett aufgebaut (Bühne: Maximilian Lindner) – und ein Schlauchboot gibt es natürlich auch. „Apokalypse Now“ lässt grüßen. Jörg Malchow als Pellner trägt Flecktarn und gibt mit auf dem Rücken verschränkten Armen und einem bis zur Verblödung durchgehaltenen Zweck-Mittel-Denken den Hauptfeldwebel. Johann David Talinski den unerfahren-bemühten Dorsch. Der Stupor der beiden steht allerdings in keinem Vergleich mit dem Urwaldpersonal, mit dem Lotz diesen Trip bevölkert. Da ist der italienische Blauhelmsoldat Lodetti (Axel Holst), der Bohnen aus der Pfanne schlingt und verzweifelt den beim Coltan-Abbau eingesetzten Sklaven westliche Pinkelstandards beizubringen versucht. Oder Stefanie Schönfeld als Stoiković, die das asiatische Händlerklischee gibt und später als Papagei im Garnelenkostüm von einem Bombenanschlag erzählt.

Die Regie spielt lustvoll und unterhaltsam in diesem selbst geschaffenen Spiegelkabinett der ironischen, gebrochenen Bedeutungen – auch wenn das Spiel gelegentlich etwas zu erzählend-statisch gerät. Für Abwechslung sorgen zwischendurch Projektionen auf einem Tarnnetz, auf dem der Autor höchstpersönlich textreflexive Statements zum Besten gibt. Denn, man ahnt es, auch in heutigen westlichen Geschichten geht es nicht gerecht zu. Als am Ende Tofgau, Ultimo Michael Pussis Freund, Einlass in den Plot begehrt, wird er schmählich abgeknallt. In jedem Autor steckt auch ein Kolonialist.

„Die lächerliche Finsternis“ | R: Robert Gerloff | 1.2., 5.2., 10.2. 20.30 Uhr | Theater Essen | 0201 81 222 00

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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