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Mensch oder Maschine? Wer soll es ahnen?
Foto: Theater Essen

„Der ewige Konflikt zwischen Mensch und Maschine“

25. Januar 2018

Nils Voges zur Inszenierung von „Metropolis“ im Theater Essen – Premiere 02/18

trailer: Herr Voges, das Theater wird zum Kino. Gibt es darum kein Popcorn?
Nils Voges: Wir wissen noch nicht, ob es kein Popcorn gibt. Es kann gut sein, dass es an dem Abend doch Popcorn gibt. Das ist tatsächlich eine Überlegung. Anders als bei den bisherigen Live-Animations-Abenden steht in Essen die Thematik Kino noch mehr im Mittelpunkt. Klar – „Metropolis“, ist ein deutscher Filmklassiker und da bietet sich das an. Ich habe viele Jahre als Filmvorführer gearbeitet, in einem Beruf, den es heute fast gar nicht mehr gibt. Und so verweben wir diese zwei Dinge, indem wir auch ein bisschen Kinogeschichte erzählen wollen.

Und warum gerade „Metropolis“?
Das hat verschiedenste Gründe. Einmal hat das Theater Essen ein Interesse an dem Stoff, weil die Thematik der Spielzeit mit Arbeit zu tun hat, mit der Arbeiterschaft, speziell auch in der Stadt und damit auch mit Maschinen. In „Metropolis“ gibt es ja den Maschinenmenschen, der erschaffen wurde, eine erste Form des künstlichen Menschen, und die Revolution, der Aufstand der Arbeiter gegen diese Maschine. Die Arbeiterrevolution steckt in dem Stoff drin. Zum anderen ist es ein deutscher Science-Fiction-Film, der für mich interessant ist, denn das sind immer Stoffe, mit denen ich gerne arbeite, die für die Bühne, für klassisches Schauspiel vielleicht schwierig wirken, in ihrer Bildgewaltigkeit, mit den sehr verschiedenen Orten und eben auch einer anderen Erzähltechnik. Ich finde es gerade reizvoll, diese Dinge zu nutzen und den Stoff dann doch auf eine Theaterbühne zu bringen.

Nils Voges
Foto: Jan Voges
Nils Voges (*1978) ist Diplomdesigner, Dozent und Teil des Medienkunstkollektivs sputnic. Seit 2004 ist er als Videokünstler international in Theaterstücken und Performances unterwegs. 2015 kreierte er mit sputnic die Darstellungsform „Live Animation Cinema“. Aktuell ist am Schauspiel Dortmund noch „Der Futurologische Kongress" nach Stanislaw Lem zu sehen.

Also ist die Haupt-Dystopie, dass zwischen Hirn und Herz immer eine Folie steckt?
Ja, das ist gut formuliert. Diese These vom Herz, die Thea von Harbou ihrem Roman vorangestellt hat und die dem Film auch vorangestellt ist und darin auch noch dreimal gesagt wird – von der hat sich Fritz Lang später distanziert. Er meinte, das sei sehr naiv, und das sehen wir ähnlich. Wir erzählen zwar die Geschichte von „Metropolis“, aber wir erzählen auch die Geschichte über den Film „Metropolis“, also dessen Werdegang, und wir erzählen die klassische Geschichte eben ein bisschen anders. Bei uns ist es in erster Linie nicht der Arbeiter, der gegen den Herren rebelliert – zwar auch, aber eben nicht nur – und es ist nicht der Arbeiter, der den Herren am Schluss die Hand schüttelt. Es geht eben auch um die Zeit, in der wir heute leben, und daher hat sich das verschoben: Bei uns werden es am Ende die Maschinen sein, die am Schluss die Hand geben. Also die Utopie bleibt erhalten, aber es ist nicht der Herr und der Arbeiter, sondern es geht mehr um den Konflikt zwischen Mensch und Maschine.

Stört die filmische Vorlage von Fritz Lang dabei?
Stören tut das nicht. Aber wir haben uns von Anfang an klar dagegen entschieden, den Film nacherzählen zu wollen oder es seiner Stilistik ähnlich zu machen. Was Fritz Lang da gemacht hat, ist ein Meisterwerk, das kann man nicht besser machen. Dramaturgisch hätte ich da ein paar Anmerkungen, aber visuell bleibt das ein Meisterwerk. Wir folgen unserem Stil und entwickeln eine eigene Geschichte.

Wie schwer fällt es den Schauspielern, sich auf das komplizierte Folienschieben einzulassen?
Die ersten zwei Proben waren mit einer gewissen Überforderung verbunden, ein bisschen mit dem Gefühl, das könne man ja nie schaffen und wie soll das alles bloß gehen. Die dritte Probe lief schon besser, die vierte auch, und heute läuft es bereits mit einer Selbstverständlichkeit, selbst bei neuen Szenen, die wir noch gar nicht geprobt haben. Wenn man einmal dieses System verstanden hat und verinnerlicht hat, wie es funktioniert – das ist wie Auto fahren. Da denkt man zunächst auch, wie soll das alles gleichzeitig gehen, treten, kuppeln, dann noch auf den Verkehr achten, aber wenn man es verstanden hat, dann geht alles automatisch.

Wie wichtig ist die Bühne oder wie beeinflussen die Projektionsflächen dieses Spiel?
Wir haben 2015 am Theater Dortmund mit Michel Houellebecqs „Möglichkeit einer Insel“ dieses Konzept eines Live-Animations-Abends erfunden. Das ist jetzt erst das vierte Mal, dass wir es in so einer Form umsetzen, und jedes Mal habe ich da für mich Grundfragen über neue Dinge, die ich ausprobieren muss und will. Um dann irgendwann mal rauszufinden, was dieses Genre, wenn ich es so nennen darf, was wir da erfunden haben, was das eigentlich genau ist. Bei „Möglichkeit einer Insel“ waren wir sehr nah am filmischen Erzählen, ganz klassisch, es gab kaum Bühnengeschehen. In Bremen haben wir „Out of Control“ gemacht. Dafür haben wir eine Batman-Geschichte erfunden und über den Tellerrand gekuckt, was kann die Erzählweise Comic, und bei „Der futurologische Kongress“ in Dortmund wollte ich zum ersten Mal ausprobieren, wie wir Schauspielszenen und Live-Animation zusammenbringen, um die Geschichte zu erzählen. Deswegen war dort die Bühne sehr wichtig, weil sie auch Teil der Geschichte war. Jetzt ist die Bühne auch sehr wichtig – jetzt wollen wir einen poetischeren Weg finden, der bei „Der futurologische Kongress“ in der Entwicklung ein wenig abhandengekommen ist. Die Schauspieler werden in „Metropolis“, während sie animieren, noch wichtiger als bei den anderen Stücken. Dazu arbeiten wir verstärkt mit Stimmen aus dem Off, die Figuren Thea von Harbou und Fritz Lang werden auf der Bühne sein und Thea wird aus dem Originaldrehbuch vorlesen. Schon das entwickelt eine gewisse eigene Poesie.

Gibt es einen Unterschied zwischen Animations-Performance und Animationsfilm?
Nicht wirklich. Wir haben das mal Live-Animation-Cinema genannt, weil das filmische Erzählen einen Kern unserer Arbeit bildet, weil wir dabei zwischen verschiedenen Projektoren oder Kameras hin und her schneiden. Um den Verunsicherungen bei den Zuschauern vorzubeugen, die möglicherweise glauben einen Film im Theater zu sehen, wurde dann auch der Begriff „Live-Animations-Performance“ eingeführt.

Wie viel Potential steckt denn noch in dem Konzept?
Noch sehe ich da kein Ende. 

„Metropolis“ | R: Nils Voges | Fr 23.2.(P), Sa 3.3., Do 15.3. 19 Uhr | Casa, Grillo-Theater Essen | www.theater-essen.de

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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