Die gute Nachricht zuerst: The boy is back in town. Nachdem sich Peter Handke 2005 mit seinem Stück „Untertageblues“ den Mülheimer Theatertagen verweigerte, nimmt er in diesem Jahr mit „Immer noch Sturm“ teil. Die Erzählung, wie sich unterschiedliche Konstellationen und Konflikte in Familien entwickeln, spielt im Jaunfeld, einem Gebiet der Kärntner Slowenen, aus dem seine Familie stammt. Die wird nun wieder auf der Bühne lebendig und bespricht ihre Geschichte. Die Kärntner Slowenen waren die einzige Volksgruppe, die gegen Nazi-Deutschland bewaffneten Widerstand leistete. Nach dem Krieg gehörten sie wieder zu den Randgruppen, verdächtigt, im Dienst des kommunistischen Jugoslawiens zu stehen.
Das Stück einzuladen, war bei der Jury nicht unumstritten, aber das muss, auch angesichts der Regie von Dimiter Gotscheff in Salzburg, ja überhaupt nichts heißen.
Bereits zum 37. Mal finden die Mülheimer Theatertage „Stücke“ statt. Sieben Stücke, meist in der Uraufführung, werden in diesem Jahr gezeigt. Bewertet werden neue Stücke – nicht die Inszenierungen. Auffällig ist, dass Dauergewinnerin Elfriede Jelinek nicht dabei ist, ihr Stück „Kein Licht“ fiel beim unabhängigen Auswahl-Gremium durch, genau wie die Inszenierung von Karin Beier in Köln, und so wird es am Ende des diesjährigen Festivals eine neue Gewinnerin oder einen neuen Gewinner des mit 15.000 Euro dotierten Mülheimer Dramatikerpreises geben. Und von den Zuschauern wird der „Publikumspreis der Mülheimer Theatertage“, ein undotierter Ehrenpreis, verliehen.
Aus 123 Uraufführungen die sieben besten zu fischen, ist nicht leicht und hinterlässt nicht nur Narben bei der Jury. Alles bleibt eben immer so herrlich subjektiv. Wie bei dem ausgewählten Stück „Käthe Hermann“ von Anne Lepper, die derzeit in Wuppertal lebt. Ihre Protagonistin lebt dort mit ihrer Tochter Irmi und dem gelähmten Sohn Martin zusammen und weiß sich und die Familie zu beschäftigen. Sie sieht sich als Bühnenkünstlerin, als Tänzerin. Doch das brachte der Witwe weder Ruhm noch Geld. So muss das Wohnzimmer allabendlich als Bühne, müssen ihre Kinder als Techniker und vor allem als Publikum dienen. Anne Lepper will uns zeigen, wie die Mitglieder einer Familie Illusion produzieren, um sich als wertvolle Mitglieder einer Gemeinschaft sehen zu können. Doch zeigt es auch den Wahn, der entsteht, wenn diese Illusionsproduktion durch die gesellschaftlichen Bedingungen bedroht wird.
Im Preiskampf ist auch René Pollesch, der seinen „Star“ Fabian Hinrichs mitbringt, den er bereits im ätzenden Kulturjubeljahr 2010 über eine Mülheimer Brache jagte, damals auf der Suche nach dem perfekten Tag – als Abschluss seiner RuhrTrilogie. Jetzt kehrt der in „Kill your Darlings!“ mit den 15 besten Turnern Berlins die letzten ideologischen Scherben zusammen, will lieber Pizza essen als Theater spielen und spricht Pollesch über Pollesch-Stücke: „Gibt es eine Antwort? Ja. Aber wir mussten sie rausschneiden. Ihr hättet das einfach nicht ertragen, und wir hätten das auch nicht ertragen. Es war eine Antwort, die nicht zu leben ist.“ Und dafür zitiert man im Untertitel auch mal gern den „Boss“ Bruce Springsteen, der gerade wieder auf Europatour gehen will.
7. Mülheimer Theatertage NRW: Stücke Festival 2012 I 19. Mai bis 7. Juni I 0208 47 20 20
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
„Eine Welt, die aus den Fugen ist“
Kulturamtsleiter Benjamin Reissenberger über das Festival Shakespeare Inside Out in Neuss – Premiere 07/25
Der verhüllte Picasso
„Lamentos“ am Opernhaus Dortmund – Tanz an der Ruhr 07/25
Von Shakespeare bis Biene Maja
Sommertheater in NRW – Prolog 06/25
Tanz als Protest
„Borda“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 06/25
„Das Publikum ist verjüngt und vielfältig“
Opernintendant Heribert Germeshausen zum Wagner-Kosmos in Dortmund – Interview 06/25
„Da werden auch die großen Fragen der Welt gestellt“
Kirstin Hess vom Jungen Schauspiel Düsseldorf über das 41. Westwind Festival – Premiere 06/25
Morgenröte hinter KI-Clouds
Das Impulse Festival 2025 in Mülheim, Köln und Düsseldorf – Prolog 05/25
Das Vermächtnis bewahren
Eröffnung des Bochumer Fritz Bauer Forums – Bühne 05/25
Rock mit Käfern, Spiel mit Reifen
41. Westwind Festival in Düsseldorf – Festival 05/25
Von und für Kinder
„Peter Pan“ am Theater Hagen – Prolog 05/25
„Der Zweifel als politische Waffe“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2025 in Recklinghausen – Premiere 05/25
Entmännlichung und Entfremdung
Festival Tanz NRW 2025 in Essen und anderen Städten – Tanz an der Ruhr 05/25
Von innerer Ruhe bis Endzeitstimmung
Die 50. Mülheimer Theatertagen – Prolog 04/25
Jenseits des männlichen Blicks
„Mother&Daughters“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 04/25
Gegen den ewigen Zweifel
Die Ruhrfestspiele 2025 in Recklinghausen – Prolog 04/25
„Kunst hat keine Farbe, Kunst ist Kunst“
Isabelle und Fabrice Tenembot vom Verein Afrikultur über das 4. Mboa-Festival in Dortmund – Interview 04/25
„Der Text hat viel mit heute zu tun“
Regisseurin Felicitas Brucker über „Trommeln in der Nacht“ am Bochumer Schauspielhaus – Premiere 04/25
Das gefährliche Leben von Kindern
„Blindekuh mit dem Tod“ am Jungen Schauspiel in Düsseldorf – Prolog 03/25
Baum der Heilung
„Umuko“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 03/25
Tanzen bis zum Umfallen
46. Duisburger Akzente – Festival 03/25
Kabarett, Cochem-Style
„Zu viele Emotionen“ von Anna Piechotta in Bottrop – Bühne 03/25
Gewinnen um jeden Preis?
„Alle spielen“ im Studio des Dortmunder Theaters – Prolog 03/25
„Ich liebe die Deutungsoffenheit“
Regisseur Roland Schwab über „Parsifal“ am Essener Aalto-Theater – Interview 03/25
„Die Kraft des Buchs besteht in der Aufarbeitung“
Bettina Engelhardt inszeniert Bettina Flitners Roman „Meine Schwester“ am Essener Grillo-Theater – Premiere 03/25
Was wirklich in den Sternen steht
„Liv Strömquists Astrologie“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Prolog 02/25