Verstörende Gedanken scheinen die belgische Gegenwartskunst umzutreiben. Gleich im ersten Raum der Ausstellung „Belgian Thoughts“ starren einen monumentale Schwarz-Weiß-Porträts an, eine junge Frau, ein kleiner Junge mit unsagbar traurigen Augen (Marie-Jo Lafontaine). Michaël Aerts‘ mit Silberfarbe übergossene Minerva-Büste, die vom Sockel herab den Blick aus leeren Augenhöhlen zu Boden senkt, verbreitet ebenfalls ein gewisses Unbehagen. Da kann Kris Martins Urkunde, die dem Besitzer ein Leben nach dem Tod garantiert, kaum aufheitern. Hier mischt sich Witz mit Memento mori-Grusel. Der leicht makabere Touch zieht sich wie ein roter Faden durch die sechs Ausstellungsräume und das Schaffen der neun renommierten Künstlerinnen und Künstler löst ein Wechselbad der Gefühle aus. Zum Beispiel die betörend grün schillernden Reliefbilder von Jan Fabre: Der Antwerpener Künstler fertigt freche Vanitas-Motive aus den Flügeln tausender toter Prachtkäfer.
Neben der Ästhetik der Vergänglichkeit sind wissenschaftliche Reflexionen eine weitere Gemeinsamkeit – und mitunter erklärungsbedürftig. Hühnerfotos und das Präparat eines halb skelettierten Hahns von Koen Vanmechelen lassen nicht erahnen, dass es sich hier um die Dokumentation eines Zuchtprojekts mit dem Ziel handelt, ein globales Huhn aus den Genen aller Rassen zu erschaffen. Panamarenko konstruiert fantastische, völlig untaugliche Fahrzeuge. Jan Fabre und Ilya Kabakov kostümieren sich für ein Video als ihre Alter Egos „Käfer“ und „Fliege“, Berlinde de Bruyckere wirft einer stehenden Frauenfigur alte Teppiche über den Kopf. Existenziell packend, befremdlich und belustigend zugleich.
Belgian Thoughts | bis 26.1. | Märkisches Museum Witten | 02302 581 25 50
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Rückblick nach Vorne
Ausstellung zur Geschichte des Museums in Witten
Künstlerinnen im Comic
„Hingeschaut und hergehört!“
Plötzlich Vorbild
Geniale Einzelgänger in Witten – Ruhrkunst 09/19
Zukunft von Gestern
Die Gruppe „B1“ in Witten – Ruhrkunst 03/19
Das ganze Spektrum
Aktuelle Malerei in Witten – Ruhrkunst 04/18
Ganz früh vorne weg
Der „junge westen“ in Witten – Ruhrkunst 07/17
Raum in der Fläche
Frauke Dannert in Witten – RuhrKunst 10/14
Das wahre Leben
Kirsten Krüger im Märkischen Museum Witten - Ruhrkunst 05/12
Im Dialog mit der Sammlung
Jürgen Meyer stellt im Märkischen Museum Witten aus, leider nur noch für wenige Tage – Ruhrkunst 01/12
Malerische Avantgarde
Informelle Malereien in Witten - Ruhrkunst 07/11
Aus dem Eis
Video-Installationen aus Spitzbergen in Recklinghausen – Ruhrkunst 03/23
Das Rätsel des roten Steins
Inventur im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 02/23
Schütten statt Pinseln
Helen Frankenthaler im Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/23
Neues im Quadrat
Josef Albers in Bottrop – Ruhrkunst 12/22
Bilder des Glücks
„Entdecke Minhwa“ im LSI Bochum – Ruhrkunst 11/22
Junge Schwarze Formensprache
Dozie Kanu im Neuen Essener Kunstverein – Ruhrkunst 11/22
Kulissen und Kojoten
Ian Page im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 10/22
Avantgardistische Bauten
Irmel Kamp und Andreas Rost im Baukunstarchiv – Ruhrkunst 09/22
In Bildwelten tauchen
Fotosammlung Museum Ostwall trifft junge Fotobuch-Kunst – Ruhrkunst 08/22
Der Charme des Unbeständigen
„Blade Memory II“ im Dortmunder Kunstverein – Ruhrkunst 07/22
Durch die Blume
„Flowers!“ in der Kunst ab 1900 im Dortmunder U – Ruhrkunst 06/22
Nackte Mannsbilder
„Eros in Erwartung der Ewigkeit“in Duisburg – Ruhrkunst 05/22
Auf Fuchs’ Fährte
Fabian Reimann im Kunstverein Ruhr – Ruhrkunst 04/22
Wetten auf die Zukunft
Videoinstallation „Slow Violence“ in Bochums Zeche Hannover – Ruhrkunst 04/22
Impressionistische Meisterwerke
„Renoir, Monet, Gauguin“ im Museum Folkwang – Ruhrkunst 03/22