Aus Witten in die weite Welt: Melanie Manchot, mittlerweile in London daheim, ist als Foto- und Videokünstlerin international unterwegs – nicht nur in Ausstellungen, sondern auch, um Menschen im urbanen Umfeld zu erforschen. Sie zu beobachten, zu befragen oder sie Situationen auszusetzen, die ihre Individualität sichtbar machen. Ihre Settings, mal öffentlich, mal intimer, treffen immer einen Nerv und lösen starke Gefühle aus, bei Akteuren wie Betrachtern: Neugier, Voyeurismus, Abwehr, Scham, blankes Vergnügen – alles dabei. Für ihr Heimspiel im Märkischen Museum wählte die gebürtige Wittenerin (*1966) Filme und Fotoserien aus 20 Schaffensjahren.
Schon ihre erste, älteste Videoarbeit ist absolut mitreißend: 2001 war die Künstlerin mit versteckter Kamera in fremden Ländern unterwegs und bat zufällige Passanten am Straßenrand um einen Kuss. Die enorme Bandbreite ihrer Reaktionen ist Garant für 20 Minuten gute Laune. Unbedingt die Kopfhörer aufsetzen – schon allein für die Story mit dem Frosch! Emotional hoch her geht‘s auch in dem (inszenierten) Dialog-Video „Kiss | Fight“ (2009/10): Hier ein sich abküssendes Pärchen. Dort zwei Kontrahenten im Straßenverkehr. Ein alter Hells Angel im Pick-up gerät mit einem jungen Fahrradkurier aneinander. Beide schenken sich nichts, rangeln und hauen sich üble Beschimpfungen um die Ohren. Amüsant, aufwühlend, nichts für Zartbesaitete. Wie auch – ein Hinweis warnt vor „nackter Männlichkeit“ – die Videosequenz von 7 Macho-Türstehern vor Ibizas Nachtclubs. Manchot brachte sie dazu, am helllichten Tag vor ihrem Arbeitsplatz Club-Portal blankzuziehen und sich, so lange sie wollten, nackt zu präsentieren.
In poetischen Videos sammelt sie Träume oder begleitet einen Schimmel durch Marls Betonarchitektur. Menschen fahren Paternoster, andere tanzen an Pole-Stangen oder mitten im Stadtraum. Während die Künstlerin in ihren Filmen den Akteuren Freiraum lässt, arrangiert sie ihre Fotos mit Akribie, z. B. die buntgewandeten „Ladys“ im hochherrschaftlichen Ambiente der University of Cambridge. Oder 2021 sich selbst. Als alle Welt wegen Corona kopfstand, startet sie ihre einsame Handstand-Serie „Inversion“ vor markanter Londoner Architektur. Halb Fremdkörper, halb integraler Bestandteil, spaltet ihr Körper das Stadtraummotiv – alles eine Sache der Perspektive.
Dancing ist the best revenge | bis 24.9. | Märkisches Museum Witten | www.kulturforum-witten.de
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