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„Die Simulanten“
Foto: Edi Szekely

Bei der Therapie falsch abgebogen

30. Juni 2016

„Die Simulanten“ am Dortmunder Schauspiel – Theater Ruhr 07/16

Fünf Figuren suchen einen Ausweg. Aus der Therapie. Aus der Virtualität. Aus dem Leben. Ohrenbetäubender Lärm dröhnt durch den Raum. Dann Stille und ein Menschenhaufen. Durcheinandergewirbelte Leiber, die plötzlich entsetzt aufschrecken: Panisches Handyzücken und verzweifeltes Gerenne. „Die Simulanten“ hat Philippe Heule, der in der vergangenen Spielzeit zum Hausautor des Theaters Basel aufgestiegen war, seinen Erstling betitelt. Die Koproduktion zwischen dem Schauspiel Dortmund und den Ruhrfestspielen hatte zunächst bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen Premiere und kommt jetzt am Hiltropwall auf die Bühne.

Heules Stück funktioniert nach der beliebten Locked-room-Methode. Auf der schmalen Bühne von Andreas Auerbach sind fünf Personen unter Neonröhren eingesperrt (2 D, 3 H) und je mehr sie sich ihrer Situation bewusst werden, desto deutlicher schälen sich die Untiefen ihrer emotionalen Verkrüppelung heraus. Auf Individualneurosen darf man allerdings bei dem durchnummerierten Personal nicht hoffen. Während Nr. 3 beim Fernsehen sein müsste und aufgeregt die Wände abläuft, hat Nr.1 gerade im Duty-free Zigaretten gekauft, auf die sich die Gruppe wollüstig stürzt. Nr. 4 ist offensichtlich während seiner Burnout-Therapie falsch abgebogen, während Nr. 2 sich in der Therapiestunde für Fernbeziehungsopfer und Nr. 5 sich auf einer Klimakonferenz wähnt.

Psychobootcamp für Fernbeziehungsgeschädigte und Klimakatstrophe, das sind die beiden beherrschenden Themen, die Philippe Heule mit seinem dramatischen Sekundenkleber zusammenleimt. Die Figuren stehen unter dem Diktat der persönlichen wie beruflichen Optimierung und der Karriere. Jede Fernbeziehung ist ein Opfergang, schädigt aber zugleich die Natur unwiederbringlich. Stichwort: Wochenendfahrten! Therapie- und Konferenzsprech, Beziehungsstreit und Alltagskonversation gehen bruchlos ineinander über. Regisseurin Claudia Bauer leistet szenisch-erfinderische Schwerstarbeit, um dem Stück auf die Beine zu helfen. Sie treibt die Figuren in Verzweiflungsausbrüche oder religiöse Hysterie, lässt Weinerlichkeit aufkeimen oder die Truppe mit Schwellköpfen Klimakonferenz spielen. Virtuelle Sexspiele werden simuliert oder man kriecht analog unter den Teppich. Allmählich schraubt sich der Level auf der nach oben offenen Hysterieskala immer höher, Sprinklerdusche und Gasmasken kommen zum Einsatz, wenn zwei Triebwerksöffnungen in der rechten Wand Qualm in den Raum blasen. Die Regisseurin rhythmisiert das Geschehen durch Blacks sowie Lärmeinbrüche und faltet die Truppe immer wieder zum Menschenhaufen zusammen. Das Hamsterrad der Simulation dreht sich unaufhörlich, bis hinein in wiederkehrende Textschleifen. Die DarstellerInnen Ekkehard Freye, Björn Gabriel, Sebastian Kuschmann, Bettina Lieder und Julia Schubert geben alles und können doch nicht verhindern, dass das Stück allzu schnell dem verfällt, was es beschreibt: der Leere der Simulation und der Wiederholung.

„Die Simulanten“ | R: Claudia Bauer | Fr 23.9., Mi 28.9. 19.30 Uhr | Schauspiel Dortmund | 0231 502 72 22

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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