Dort, wo vor ziemlich genau zehn Jahren das vielleicht größte Ereignis des Ruhrgebiets gestartet war, wird dieser Tage auch dessen Jubiläum gefeiert: Vom 10. bis zum 25. Januar heißt es auf der Zeche Zollverein: „Zehn nach zehn. 10 Jahre Kulturhauptstadt und Ruhr Museen“. Es wird gefeiert, zurückgeschaut und in die Zukunft geblickt. Am 16.01. versammelte sich eine hochkarätige Riege aus Kultur, Politik und Wirtschaft zu einer öffentlichen Diskussionsrunde unter dem kritischen Titel „War da was? RUHR.2010 und die Folgen“. Erstaunlich: Die Beiträge auf der Bühne waren kritischer als die Wortmeldungen aus dem Publikum.
„War da was?“ als Titel der Veranstaltung klingt plumper, als es ist. Dass da was war, ist allen im Ruhrgebiet bewusst. Wer erinnert sich nicht gerne an den Spaziergang über die A40? An das Zählen der gelben Schachtzeichen-Ballons von einer Halde aus? Daher ist es auch eine schöne Geste, dass die Diskussionsrunde mit den organisatorischen Schwergewichten mit einem Video eröffnet wird, in dem einige der 1200 Freiwilligen, die die vielen Veranstaltungen im Kulturhauptstadtjahr möglich gemacht haben, zu Wort kommen. Sehr emotional blicken sie auf ein aufregendes Jahr zurück, das ihre Horizonte erweitert und ihnen das Gefühl gegeben hat, Teil von etwas Großem zu sein.
Und es habe das Ruhrgebiet einander nähergebracht, sagt Karola Geiß-Netthöfel, Regionaldirektorin des Regionalverbandes Ruhr (RVR). Besonders in der jeweiligen Local-Heroes-Woche waren selbst periphere Orte wie Breckerfeld oder ihre Heimatstadt Lünen aktiv Kulturhauptstädte – und seien damit näher an das Ruhrgebiet herangewachsen.
Und das ist auch das beherrschende Thema des Abends. Dr. h. c. Fritz Pleitgen, der ehemalige Geschäftsführer der RUHR.2010 GmbH, quasi der damalige Chef der gesamten Kulturhauptstadt, lenkt das Gespräch immer wieder darauf, dass das Ruhrgebiet auch zehn Jahre, nachdem es sich der Welt als eine Stadt präsentiert hat, immer noch der kommunale Flickenteppich ist, der er vorher war. Im Vorfeld von RUHR.2010 hätten alle Kommunen an einem Strang gezogen, erzählt der gebürtige Duisburger mit spürbarer Begeisterung in der Stimme. Aber noch immer gibt es eben keine Metropole an der Ruhr. Dazu müssten die jetzigen Oberbürgermeister der Städte nicht einmal ihre Plätze räumen. Es könnte auch einen Oberoberbürgermeister oder Gouverneur geben. Doch die hohen Wünsche nach Zusammenarbeit wurden nicht erfüllt: „Nach dem Ende der Paartherapie war man froh, auch wieder man selbst zu sein.“ Alle Ruhrgebietsstädte hätten zwei Dinge gemeinsam: „Alle sind pleite – und alle können die anderen nicht riechen.“
Der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen zeigte sich im Verlauf des Abends weitgehend offen für die Idee einer Fusion der Ruhrstädte – wenngleich er keinerlei konkrete Schritte nennt. Stattdessen schiebt er die Verantwortung für die Initiative von sich. Die vier „Halbstarken“ des Potts müssten den Anfang machen – Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund. Dann sollen die vier doch den Anfang machen, wirft Pleitgen ein. Europa habe auch mit sechs Gründungsmitgliedern angefangen. „Wenn einer mit dem Programm anträte, die Kräfte zu bündeln“, sagt Pleitgen und erntet den ersten Zwischenapplaus, „dann wird der die Wahl haushoch gewinnen.“
Auf kultureller Ebene aber habe RUHR.2010 durchaus spuren hinterlassen. Sowohl RVR-Regionaldirektorin Geiß-Netthöfel als auch WAZ-Kulturchef Jens Dirksen betonen die kulturellen Netzwerke, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind, allen voran in der Theaterszene und der Jugendarbeit. Das Artistik-Projekt Urbanatix und die Institution Urbane Künste Ruhr seien eben aus dem Kontext der Kultruhauptstadt entstanden und bestehen bis heute. Und auch in der Außenwirkung habe 2010 Effekte gezeitigt. Der RVR verwende konsequent die Bezeichnung Metropole Ruhr. Und den Titel „Stadt der Städte“, um die polyzentristische Besonderheit dieser Metropole hervorzuheben, ergänzt Bernd Tönjes, Vorstandsvorsitzender der RAG-Stiftung.
Der Blick in die Zukunft zeigt, dass noch weitere Großprojekte auf das Ruhrgebiet warten, die ohne die bisherige Zusammenarbeit nicht möglich gewesen wären. „Ohne IBA (Internationale Bauaustellung Emscher-Ruhr 1989–1999, Anm. d. Red.) keine RUHR.2010, ohne RUHR.2010 keine Grüne Hauptstadt, ohne Grüne Hauptstadt keine IGA 2027“, fasst OB Kufen zusammen. Gemeint ist die Internationale Gartenausstellung, die wie die Kultruhauptstadt im ganzen Ruhrgebiet stattfinden wird. Hinzu kommen auch noch Projekte wie das vergangene Glückauf Zukunft zur Verabschiedung des Bergbaus und Initiativen wie die, Olympischen Sommerspiele 2032 in den Pott zu holen.
Insgesamt liegt ein gewisser Geist von „Es war toll, aber es hätte mehr draus werden können“ und „Ja, aber immerhin sind ein paar Sachen nachhaltig erwachsen“ über dem Gespräch. Vollkommen zu Unrecht, wie in der abschließenden Fragerunde von zwei Zuschauern konstatiert wird. Die Kulturhauptstadt habe die Menschen im Ruhrgebiet zusammengebracht und Selbstvertrauen geschaffen. Mit diesen „Mutmachern“, wie Thomas Kufen sie nannte, schloss die Diskussionsrunde und ging in ein Konzert der mal rauen, mal ätherischen und auf jeden Fall erwähnenswerten Band „Wir hatten was mit Björn“ über.
Zehn nach Zehn, verschiedene Veranstaltungen | Zeche Zollverein, Essen | noch bis zum 25.1. | www.zollverein.de/erleben/zehn-nach-zehn
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