Industriekultur. Ein zusammengesetztes Wort, dessen Wesen eigentlich viele Bedeutungen hat. Wenn es dem Tourismus dient, bleibt es doch Verballhornung einer Kultur der Ausbeutung. Insbesondere im Ruhrgebiet, wo auf der ehemaligen Zeche Zollverein, als architektonisches Glanzstück sogar Weltkulturerbe, dieser Hochglanz-Geschichtsklitterung umfangreich gefrönt wird. Mittendrin eine wunderbare Ausstellung des Dortmunder Arbeiter-Schriftsteller-Fotografen Erich Grisar (1898-1955). Umfangreich auf der 21-Meter-Ebene des Ruhr Museums inszeniert, mit Schaukästen seiner Bücher und Schriften, hängen dort gut 200 Schwarzweiß-Fotografien der Jahre 1928-1933, in der Hauptsache fotografiert in Grisars Heimatstadt Dortmund.
Anders als die Fotografien des Kölners Chargesheimer (1924-1971), die im letzten Jahr noch auf Zollverein zu sehen waren, oder Fotografen wie Albert Renger-Patzsch (1897-1966) oder Heinrich Hauser (1901-1955), die, obwohl fremd hier, mit Bildbänden wie „Schwarzes Revier“ oder „Ruhrgebiet-Landschaften 1927-1935“ bekannt wurden, war Grisar ein Teil der Welt, die er fotografierte, er wusste um die Existenznöte der Menschen hier. Dabei war er auch immer journalistisch und schriftstellerisch tätig, konnte mit seiner großen Familie davon leben, war aber bislang nur als Schriftsteller bekannt.
Die Ausstellung zeigt Momentaufnahmen einer dunklen Zeit, in der Menschen um die Existenz kämpfen, aber auch lachen und Kinder haben, die noch spielen können. Grisar-Zitat: „Und eine Kohlelunge haben die Kinder schon, kaum daß sie gehen können.“ Dennoch ist der Klärschlamm einer Kohlegrube das Paradies für Jung und Alt. Die Kleinen bauen hier aus alten Ziegeln Buden und Panzer, die Großen holen die Schlammkohle aus den Absetzbecken der Zeche Scharnhorst. Verbotsschilder auf dem Bild daneben, was für Verbotsschilder? Grisar machte viele Reportagen für die Volksblatt-Illustrierte. Neben der Dokumentation eines Schlachthofes und der Arbeitspferde unter dem heroischen Titel „Die Proletarier unter den Tieren“ hat die Arbeiter-Zeitschrift am 2. Februar 1929 auch eine Seite „Tote Arbeitsstätten“. Schon damals war das ein Thema im Ruhrgebiet, obwohl das Wort Strukturwandel noch nicht erfunden war; Ringofenziegeleien, Kokereien und Zinkhütten mussten daran glauben, aber es gab ja auch billige Arbeitskräfte zuhauf, und wenn das nicht reichte: Die sozialistische Jugend und die Sozialdemokratie (ja, damals gab es die noch) prangerten Kinderarbeit im eigenen Land an.
Dass man diese knallharten Bilder heute überhaupt sehen kann, ist wohl dem Zufall geschuldet, vielleicht auch der Neuauflage seiner Romane „Ruhrstadt“ (1931), der erstmals 2015 veröffentlichte „Cäsar 9“ und seine persönlichen Erinnerungen „Kindheit im Kohlenpott“ (1946) in Bielefeld. Jedenfalls wurde der im Dortmunder Stadtarchiv lagernde fotografische Nachlass Grisars (davon mehr als 1.500 Negative und Glasplatten allein übers Ruhrgebiet) erstmalig ausgewertet und nun endlich der Öffentlichkeit präsentiert. Ich hoffe, dass dadurch auch der geschönte, verdrehte Blick auf die sogenannte „Route der Industriekultur“ in eine andere Richtung gelenkt wird. Sehenswert sind die großartigen Aufnahmen von Erich Grisar allemal.
Erich Grisar | bis 28.8. | RuhrMuseum, Essen | 0201 246 81 444
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