Den American Dream oder eine heitere Grundstimmung sucht man in den Fotoarbeiten von Gregory Crewdson vergebens. Er zeigt hingegen unwirtliche Szenarien, Vorstädte unter bewölktem Himmel, ernste Menschen liegend auf einem Sofa oder halb verborgen hinter Autoscheiben oder wie eingefroren auf dem leeren Parkplatz einer Shopping Mall. Dazu: Verkehrsunfälle, Feuer, die an immer neuen Stellen ausbrechen, einen umgekippten Lichtmast, verwildertes Unterholz, überhaupt eine Tristesse – und das alles an Orten in Amerika.
Gregory Crewdson gehört zu den bekanntesten, jüngeren Vertretern der inszenierten Fotografie, direkt nach Jeff Wall oder Cindy Sherman. Crewdson selbst spricht von narrativer Fotografie. Noch präziser: Er versteht sich im Vorgehen als Filmregisseur, aber so, dass er ganze Filme in einer einzigen Aufnahme konzentriert und sein Bedürfnis nach dem perfekten Bild mit dem Wissen konfrontiert, dass es dieses nicht gibt. Dazu passt, dass er seine Fotografien schon seit Jahrzehnten nicht mehr selbst aufnimmt, sondern dass Spezialisten dies übernehmen. Die Settings findet er im öffentlichen Raum vor, korrigiert sie mit seinem Team über Wochen, arrangiert die Szenerien weiter und lässt alles digital aufnehmen.
Aus den vielen Bildern, die also sämtlich der Realität entstammen, konstruiert er am Ende die fertige Aufnahme. Vorder-, Mittel- und Hintergrund und überhaupt alle Details sind gleichermaßen gestochen scharf und wirken in diesem Hyperrealismus surreal und atmosphärisch verdichtet und zugleich entfremdet. Weil das Format der Fotografien relativ moderat bleibt, tritt man näher und entdeckt die feinen, subtilen Einzelheiten im Bild, die rätselhaften Momente, die das Geschehen mystisch und psychologisch aufladen. Das betrifft erst recht die Interieurs, bei denen sich in der Tiefe weitere Zimmer – oft das Badezimmer – öffnen. Im Freien dann, im Überblick auf die Straße oder im Blick in Schaufenster, deutet sich eine soziologische Bestandsaufnahme an, die das Wesen des Menschen analysiert. Crewdson hat seit 1986 elf Serien geschaffen, Ausschnitte aus neun sind nun im Kunstmuseum Bonn zu sehen. Eindrucksvoll!
Gregory Crewdson – Retrospektive | bis 22.2. | Kunstmuseum Bonn | 0228 77 62 60
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