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Oliver Flothkötter
Foto: Frank Brenner

„Das Ruhrgebietspublikum ist ehrlich und dankbar“

28. November 2024

Oliver Flothkötter über „Glückauf – Film ab!“ und Kino im Ruhrgebiet – Interview 12/24

Die Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ zeigt rund 900 Exponate zur hundertjährigen Kino- und Filmgeschichte des Ruhrgebiets. Oliver Flothkötter, Co-Geschäftsführer der Lichtburg in Essen, hat die Filme für die Sonntagsmatineen zur Ausstellung mit ausgewählt.

trailer: Herr Flothkötter, haben Sie unter den Ruhrgebietsfilmen einen persönlichen Lieblingsfilm, den Sie vielleicht auch mit persönlichen Erlebnissen verbinden?

Oliver Flothkötter: Das ist für mich „Der Junge muss an die frische Luft“, der in der Lichtburg auch seine Premiere feierte. Damals habe ich diesen großartigen Film mit seinen wunderbaren Dialogen mit meiner Familie gesehen. Man schaut in dem Film zurück in die Vergangenheit, in die Kindheit Hape Kerkelings, die noch weit vor meiner eigenen lag, aber dennoch habe ich ganz viele Sprüche und Konstellationen aus meiner Familie darin wiedererkannt. Ich habe mich in diesem Film sehr zu Hause gefühlt. Das ist nicht nur Ruhrgebiet, das strahlt auch bis ins Münsterland aus (lacht). Außerdem finde ich auch „Theo gegen den Rest der Welt“ oder die Filme von Adolf Winkelmann toll, aber zu denen habe ich in meiner Generation nicht so den starken Bezug. 

Was hat Sie an der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ am meisten beeindruckt?

Mich hat das Zusammenspiel in der Ausstellung am meisten beeindruckt, weil sie es schafft, sowohl Kino als auch Film abzubilden. Viele Ausstellungen widmen sich alleine der Filmgeschichte, andere konzentrieren sich auf die Kinogeschichte. Beides miteinander zu verbinden ist hier großartig gelungen. Es ist inhaltlich unglaublich viel, wirkt aber dennoch nicht überladen. Selbst, wenn man in den Raum nach unten geht, in die „Schmuddelecke“, die sich den Erotikfilmen aus den 1970er Jahren widmet, finde ich das überaus passend und von der Aufteilung her sehr gelungen.

Hat das Kinopublikum im Ruhrgebiet eigentlich eine besondere Mentalität?

Ja. Das bekomme ich oft von Personen widergespiegelt, die von außerhalb des Ruhrgebiets kommen. Beispielsweise Filmverleiher oder Schauspieler bei Premieren, aber auch von Gästen, die speziell zu Premieren oder anderen großen Events wie unseren 70mm-Vorführungen anreisen. Viele von ihnen schätzen die ehrliche und dankbare Art des Ruhrgebietspublikums. Schauspieler und Gäste werden gerade bei Premieren hier regelrecht gefeiert und mit einer Offenheit begrüßt, weil man hier vielleicht nicht so übersättigt ist, ständig Stars vor Ort zu haben wie beispielsweise in Köln oder Berlin. Bei der Eröffnung der lit.RUHR, die gerade in der Lichtburg stattgefunden hat, sprach Herbert Grönemeyer lange über diesen Ruhrgebietscharakter. Er verglich den Ruhrpottler mit den Menschen in London, da beide über sich lachen und Dinge ironisch wahrnehmen könnten und eine große Herzlichkeit ausstrahlten. 

Welchen Mehrwert müssen Kinos heute bieten, um die Menschen anzulocken?

Es gibt wohl generell in der Kulturbranche einen Trend zur Eventisierung. Über besondere Anlässe und Events kann man mittlerweile mehr Publikum generieren als im Alltagsgeschäft. Einige Filme ziehen natürlich nach wie vor von sich aus, von denen hat man bereits gehört, die sollte man gesehen haben. Das war in diesem Jahr im Arthouse-Bereich „The Zone of Interest“. Dessen Wirkung war bereits so intensiv, dass wir gar nicht allzu viel Drumherum hätten machen können. Bei Schulvorstellungen gibt es natürlich auch bei diesem Film eine Einbindung, aber ansonsten hat er für sich gesprochen und war für sich genommen bereits das Event. Ich würde es mir wünschen, wenn das noch viel mehr Filme schaffen würden. Ansonsten ist es natürlich ein absoluter Mehrwert, Filmgespräche anzubieten. Bei Premieren kann man Filme als Allererster sehen, Regisseure und Schauspieler sind anwesend und beantworten manchmal kurze Fragen eines Moderators. Aber Filmgespräche innerhalb einer Kinotour sind noch intensiver, wenn Schauspieler und Regisseure da sind, um noch ausführlicher über ihren Film zu sprechen und im Anschluss an den Film im Foyer noch greifbar sind. Gerade Dokumentarfilme können dann noch eine ganz andere Wirkung entfalten, wenn man sich im Anschluss noch intensiv über sie austauschen kann.

Sind die Multiplexkinos heute überhaupt noch eine Konkurrenz für Filmkunstkinos, oder sprechen diese ohnehin jeweils andere Zuschauer an?

Teils, teils. In Essen ist die Konkurrenz zwischen Lichtburg und Cinemaxx am größten, weil die Lichtburg nicht dezidiert ein reines Filmkunsttheater ist. Hier laufen auch große Blockbuster, von „Avatar“ über „James Bond“ bis hin zu „Star Wars“. Diese Filme laufen natürlich auch im Cinemaxx. Ein Film wie „Oppenheimer“ ist kein reiner Mainstream-Blockbuster, lief aber trotzdem sehr erfolgreich, obwohl er eigentlich ein Arthouse-Publikum anspricht. Dass solche Filme sowohl in der Lichtburg als auch im Cinemaxx laufen, stellt natürlich schon eine Konkurrenzsituation dar. Das Cinemaxx hatte in diesem Fall auch die Möglichkeit, den Film aufgrund zahlreicher Säle häufiger zu spielen als wir. Hinzu kommt das Preis-Dumping, das zwischenzeitlich eingesetzt hat, denn im Cinemaxx gibt es extrem günstige Preise für den Kinoeintritt, was dann durch hohe Getränke- und Snackpreise wieder herausgeholt werden soll. Das hat uns unter Druck gesetzt. Wir haben die Preise nicht gesenkt, sie aber trotz Inflation auch nicht erhöht. Beim Kino haben sich bei uns die Preise gehalten. Bei Getränken und Süßwaren mussten wir erhöhen, weil hier auch bereits der Einkauf für uns teurer geworden ist. Bei den Filmkunstkinos ist es anders, hier haben wir gänzlich andere Filme im Programm. Wenn wir diese nicht zeigen würden, könnte man sie in Essen nirgendwo im Kino sehen. Aber auch das Cinemaxx zeigt natürlich Filme, die in keinem unserer Filmkunstkinos laufen würden. 

Muss man bei den unterschiedlichen Generationen der Kinogänger unterschiedliche Tools anwenden, um diese ins Kino zu locken?

Ja, das ist ein absoluter Aufmerksamkeitswettbewerb, nicht nur für Kino, sondern für alle Kultur- und Medieninhalte. Dabei konkurriert man weit weniger mit den Streamern, als mit Social-Media-Inhalten! Jüngere Zielgruppen verbringen viel mehr Zeit am Handy, wo sie auf YouTube, Instagram und TikTok locker zwei oder drei Stunden am Tag verbringen. Diese Zeit verwenden sie dementsprechend nicht, um sich einen ganzen Film anzuschauen, im besten Fall auch noch im Kino. Andererseits sind sie genau über diese Social-Media-Kanäle auch am besten zu erreichen. Wir nutzen hierbei Facebook für die älteren, Instagram für die jüngeren Zuschauer. Vielleicht auch bald noch TikTok, um noch wesentlich jüngere Zielgruppen anzusprechen. Ältere Zuschauer werden darüber hinaus auch noch über die klassische Programmzeitschrift, das trailer-Magazin oder unsere Internetseite angesprochen. Presseberichterstattungen in Zeitungen und Zeitschriften haben nach wie vor eine große Wirkung, die man leicht unterschätzen könnte, weil alle nur noch auf Internet und Social Media aus sind. Alle über 40 Jahre erreicht man noch sehr gut mit Printprodukten.

Staraufgebot in Essen zur Weltpremiere von „Winnetou 2. Teil“, Foto: Frank Brenner

Wie wichtig sind heute Kinoförderungen geworden, um ein vielfältiges Programm gewährleisten zu können?

Aktuell ist mit der Filmförderungs-Novelle ja vieles im Umbruch, was branchenintern auch heiß diskutiert wird. Es werden sehr viele Filme in ihrer Produktion gefördert, man achtet aber in der Filmförderung nicht so sehr darauf, dass diese Filme auch von jemandem gesehen werden möchten und dass sie dafür eine gewisse Aufmerksamkeit erhalten müssen. Man muss das ganzheitlich denken. Wenn man einen Film in der Produktion fördert, muss auch sichergestellt werden, dass der Film einen guten Verleih hat. Und dann muss der Verleih gefördert werden, damit er Werbung für den Film machen kann. Das ist zwar vorhanden, aber das Verhältnis stimmt manchmal nicht. Es wird so viel an Filmprojekten gefördert, dass diese sich anschließend auf dem Kinomarkt kannibalisieren oder gefühlt gar nicht mehr im Kino zu sehen sind, weil es so viele Filmstarts gibt. Verleih- und Kinoförderung fallen in unserem aktuellen System leider gerne einmal hinten rüber. Da sollte das Verhältnis mehr beachtet und umgebaut werden. Gut ist, dass es nach wie vor die Kinoprogrammpreise des BKM gibt. Denn damit kann sichergestellt werden, dass kleinere Filme – hinsichtlich des Budgets und des Werbeetats – weiterhin in Kinos gezeigt werden können. Für diese Filme gibt es nicht immer große Besucherströme, deswegen ist es wichtig, dass Kinos gefördert werden, die ein besonders anspruchsvolles Programm zeigen. Das ist in dieser Form keine Subvention, sondern eine Auszeichnung für ein Kino, das sich um ein qualitativ hochwertiges Programm bemüht. Es ist gut, dass es diese Auszeichnungen nach wie vor auf Bundes- und Länderebene gibt! Kinoprogrammpreise sind ein sehr elementarer Baustein für Filmkunsttheater im Allgemeinen.

Glückauf – Film ab! Kino- und Filmgeschichte des Ruhrgebiets | bis 2.3.2025 | Ruhr Museum, UNESCO-Welterbe Zollverein | 0201 24 68 14 44

Interview: Frank Brenner

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