Die Archäologie geht mit der Zeit. Nur Schätze verschollener Kulturen ausbuddeln, das war einmal. Mittlerweile beackert man auch jüngere Forschungsfelder wie das Industriezeitalter. Die Archäologie der Moderne schaut in den Boden unter unseren Füßen und entdeckt dort verborgene Mauerreste oder Dinge im Weltkriegsschutt. Ausgrabungsfunde aus den letzten 250 Jahren bergen faszinierende Erkenntnisse über das wechselvolle Leben an Rhein und Ruhr, die in keinem Geschichtsbuch stehen. Um solche Relikte geht es in der Ausstellung im Ruhr Museum: um jüngste Geschichte und Geschichten aus Essen und der Region.
Zugegeben: Hier glänzt kein Goldschatz. Das Auge blickt ernüchtert auf gleichförmige Vitrinen einer konservativen Präsentation: 81 Exponate, thematisch gruppiert in acht Kapiteln wie Industrie, Infrastruktur und NS-Zeit. Unter Glas liegen Schlackebrocken, Porzellanpuppenköpfe, ein rostiger Nachttopf aus einem Zwangsarbeiterlager, Flaschenverschlüsse, Schuhsohlen, der Propeller eines abgestürzten Kampfbombers neben einer völlig ramponierten Reiseschreibmaschine, vieles für Laien unidentifizierbar. Ein großes Thema ist der Bereich Müll: In historischem Abfall finden Stadtarchäologen die zuverlässigsten Zeitzeugen. Absichtslos Weggeworfenes erzählt am ehrlichsten über Lebensumstände, objektiver als historische Dokumente und Erlebnisberichte. Da die Fundstücke nicht für sich sprechen, ist ansprechende Vermittlung gefragt.
Die Ausstellung besuchen, bedeutet: Exponate betrachten, rätseln, Erklärungen lesen, mit Vorwissen abgleichen und neu verknüpfen. Archäologen arbeiten ähnlich. Mit detektivischem Gespür können sie nach Jahrzehnten noch Verbrechen aufklären. Etwa das Schicksal des kanadischen Soldaten Thomas D. Scott, der sich aus seinem abgeschossenen Halifax-Bomber zwar noch retten konnte, aber gefasst und umgebracht wurde. Etliche verrottete Metallteile halfen, die Maschine und ihre Besatzung eindeutig zu identifizieren. Ohne Begleittexte weiß man das alles nicht.
Die Ausstellung möchte mit einer facettenreichen Auswahl aus ihrem Fundus die jüngste Vergangenheit ins Bewusstsein rücken und Neugier wecken auf alles, was da wohl noch im Boden schlummert. Aber die Faszination für die spannende Disziplin Archäologie der Moderne sollte man besser schon mitbringen.
Jüngste Zeiten. Archäologie der Moderne an Rhein und Ruhr | bis 7.4. | Ruhr Museum, Essen | 0201 24 68 14 44
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Roter Teppich für das Kino
Kino- und Filmgeschichte des Ruhrgebiets im Essener Ruhr Museum – Ruhrkunst 08/24
Lebendige Zeitgeschichte
Marga Kingler im Essener Ruhr Museum – Ruhrkunst 07/24
Lichtspiele mit Charme
Eröffnung der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ im Ruhr-Museum – Foyer 07/24
Mit französischem Blick
„Hände weg vom Ruhrgebiet!“ im Essener Ruhr Museum – Kunstwandel 04/23
Mensch, Tier, Ruhrrevier
Eine spezielle Beziehungsgeschichte in Essen – Ruhrkunst 09/19
Dokumente aus der Steinstaubzeit
Josef Stoffels und die Zechen im Ruhr Museum – Ruhrkunst 02/18
Lebst Du noch und wie wohnst Du eigentlich?
Kunstvorschau: Verwesung, Entfremdung und ein Tag für Entdeckungen
Urbane Endzeit-Ekstase oder Folk aus Färöer
Konzert-Vorschau: Peine Perdue, Xarah Dion & der Liveurope Day
Es leuchtete damals nur die Westfalenhütte
Arbeiter-Fotograf Erich Grisar auf Zeche Zollverein in Essen – Kunstwandel 04/16
Arbeit, Staub und Spaß
Essener Ruhrmuseum auf Zollverein zeigt „Chargesheimer – Die Entdeckung des Ruhrgebiets“ – Kunstwandel 08/14
Aus der Sammlung
Die Vormoderne im Ruhr Museum Essen – RuhrKunst 02/14
Licht und Schatten
„Kohle global“ im Ruhr Museum Essen – Ruhrkunst 11/13
Gelb mit schwarzem Humor
„Simpsons“-Jubiläumschau in Dortmund – Ruhrkunst 10/24
Die Drei aus Bochum
CityArtists in der Wasserburg Kemnade – Ruhrkunst 09/24
Happy End
Ausstellung über Glück in Bochum – Ruhrkunst 07/24
Im Bann der Impulse
„Radiant“ im Lichtkunstzentrum Unna – Ruhrkunst 06/24
Alle für einen
Matthias Wollgast im Märkischen Museum Witten – Ruhrkunst 06/24
Leben in der Wüste
Namibia-Ausstellung im Naturmuseum Dortmund – Ruhrkunst 05/24
Hin und weg!
„Ferne Länder, ferne Zeiten“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 05/24
Utopie und Verwüstung
„The Paradise Machine“ in Dortmund – Ruhrkunst 04/24
Ins Blaue
„Planet Ozean“ im Gasometer Oberhausen – Ruhrkunst 04/24
Intensive Blicke
Fotografin Annelise Kretschmer im MKK Dortmund – Ruhrkunst 03/24
Kultige Cover
Designagentur Hipgnosis in Oberhausen – Ruhrkunst 03/24